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DRUCKVERSION "Hier tickt eine Zeitbombe"

In 25 Jahren werden zwei Drittel aller Menschen in Städten leben. Ein Interview mit Ulrich Pfeiffer, der den Weltbericht zur Zukunft der Städte verfasst hat

Interview UWE RADA und ROLF LAUTENSCHLÄGER

taz: Herr Pfeiffer, ist ein Mammutkongress wie "Urban 21" überhaupt die richtige Veranstaltung zur Lösung der globalen städtischen Probleme im neuen Jahrhundert?

Ulrich Pfeiffer: Ich traue mir kein Urteil zu, ob das gleiche Geld, investiert in eine Verbesserung der "Best-Practice-Datenbank" der Vereinten Nationen, nicht mehr Nutzen gestiftet hätte. Auf der anderen Seite gibt es das Repräsentationsbedürfnis einer Regierung, sich auf der internationalen Bühne zu inszenieren. Das würde ich nicht als illegitim abtun. Außerdem gibt es das Bedürfnis der Teilnehmer nach direktem Kontakt.

Liegt die bekannte Wirkungslosigkeit solcher Konferenzen nicht auch daran, dass ein Global Player wie Sie, mit Wohnsitz in London und Berlin, nur noch als Moderator, aber nicht als sozial Betroffener agiert?

Ich kann Ihnen natürlich nicht beweisen, dass ich die sozialen Probleme kenne und ernst nehme. Ich habe in Kairo gearbeitet, in Eritrea, Argentinien, Südafrika, Mexiko und in den Städten anderer Länder. Dort setzt man sich den Problemen aus und versucht, sie konzeptionell und praktisch zu lösen.

Für die Weltkonferenz "Urban 21" haben Sie gemeinsam mit dem Briten Sir Peter Hall den World-Report zur Zukunft der Städte im 21. Jahrhundert vorgelegt, dessen Thesen jetzt debattiert werden. Auf der Weltsiedlungskonferenz Habitat II in Istanbul 1996 jedoch war beschlossen worden, dass dieser Bericht von den lokalen Akteuren und Nichtregierungsorganisationen verfasst werden sollte.

Der Bericht kommt ja nicht von einer Regierungsorganisation. In einem informellen Prozess wurden 15 Experten ausgewählt, die den Bericht verantworten. Zugleich wurden unterschiedliche Personen verschiedenster Städte und Länder angehört. Ein Betroffenenbericht in dem Sinn, dass wir Personen aus den Slums von Rio zu Wort kommen lassen, ist es nicht. Die Armutsbevölkerung der Welt braucht Repräsentation.

In Ihrem Bericht sagen Sie voraus, dass in 25 Jahren fünf Milliarden Menschen, zwei Drittel der Weltbevölkerung, in Städten leben werden, allerdings in völlig unterschiedlichen Stadttypen. Was haben Kalkutta, London und Berlin denn gemeinsam?

Die Themen von Berlin sind tatsächlich zum Teil andere als die von Kotonu oder Lagos. Gemeinsam ist in jedem Fall die Umwelt, die Schäden durch das Auto in den Städten, die Energieverschwendung. Wenn es beispielsweise nicht gelingt, das Auto zu ökologisieren, rollen wir auf eine Katastrophe zu.

Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs könnte die Katastrophe doch ebenso stoppen?

Nein, niemals. Das ist eine Illusion. Der öffentliche Nahverkehr ist zwar wichtig, aber er kann niemals den Autoverkehr ersetzen. Nach Auffassung der Kommission gibt es keine Macht der Welt, die China oder Thailand daran hindern kann, sich zu motorisieren. In den europäischen und nordamerikanischen Städten ist die Masse aller Immobilieninvestitionen und aller materiellen, technischen Kapazitäten autoabhängig. Es besteht ein unausweichlicher Zwang, so schnell wie möglich andere Formen des Autoverkehrs zu entwickeln.

Was heißt das?

Andere Antriebsstoffe wie Gas, Wasserstoff und Brennstoffzelle und radikales Umschalten auf erneuerbare Energien. Technisch ist dies lösbar. Wir wissen nicht, ob es wirtschaftlich und gesellschaftlich rasch genug geschehen wird.

Aber die Bundesrepublik geht da nicht gerade mit gutem Beispiel voran.


In rationalen Gesellschaften hätte eine Regierung schon längst gesagt, Benzin kostet im Jahre 2010 zum Beispiel acht Mark. Die Bundesrepublik gehört zu den archaisch primitiven Ländern, die diesen primitiven Geschwindigkeitsrausch genießen und sich genehmigen.

Erscheint das Fokussieren auf das Auto nicht als typische Sicht des Nordens? In Städten wie Kalkutta oder Lagos gibt es sicher dringendere Probleme als den wachsenden Autoverkehr, etwa soziale Ausgrenzung, die enorme Zuwanderung und Armut.

Die unmittelbaren Überlebensprobleme sind sicher andere. Aber alle Menschen sind darauf angewiesen, dass die Schäden des Autos eingedämmt werden. Ein zweites großes Thema sind Probleme des informellen Sektors, das informelle Wohnen, das informelle Wirtschaften und Leben in der Stadt. Dieser informelle Sektor ist dort stark, wo es Ungleichheit und erhebliches Bevölkerungswachstum gibt.

Was muss getan werden, um diesen Trend umzukehren? In Ihrem Bericht entwerfen Sie einen "Action Plan", in dessen Mittelpunkt eine Politik des "Good Governance". Was heißt das?

Jeder, der Macht ausübt, muss Rechenschaft ablegen und abwählbar sein. Einhaltung demokratischer Prinzipien bildet den Kern jeder Good-Governance-Bewegung, sonst endet Stadtpolitik in Korruption und Mauschelei.

Das ist doch nichts Neues.

Für uns nicht - aber vor 20 Jahren galt das erst für eine Minderheit von Städten in der Welt. Noch 1980 wurden in Südamerika und in Afrika Bürgermeister von den Regierungen eingesetzt.

Wo bleibt bei Good-Governance die Politik? Oder sind die Probleme in den Städten, von der Armut bis zur Ökologie, nur noch das Ergebnis von "Bad Governance" und eben nicht auch des ungleich verteilten Reichtums?

Armut ist zunächst, von der statistischen Masse her, ein Problem des Bevölkerungswachstums. Es gibt kein Wachstum pro Kopf, wenn die Stadtbevölkerung mit drei bis fünf Prozent wächst.

Mit der Bildung haben Sie eine weitere wichtige Strategie zur Lösung urbaner Probleme angesprochen. Ist es denn tatsächlich so, dass mit einer besser ausgebildeten Bevölkerung die Armut der Vergangenheit angehört?

Sir Peter Hall hat ein schönes Beispiel in den Bericht geschrieben. Um 1900 bekam ein junger Italiener in New York, wenn er die Schule verließ, eine Schaufel geschenkt und ging auf den Bau, womit er sich seinen Lebensunterhalt verdiente. Dieses reicht heute nicht mehr. Ein junger Türke, der 2000 gerade die Schule absolviert, kommt mit diesem Wissen nicht aus, es sei denn, er ist überdurchschnittlich energisch, durchsetzungsfähig, clever und artikulationsfähig. Die Fähigkeit, sich zu orientieren, muss trainiert werden. Das macht unser Bildungssystem zu wenig. Die Hauptschule wird zur Versagerinstitution.

Andere Experten, wie etwa Saskia Sassen, behaupten, dass die Existenz einer städtischen Unterklasse geradezu die Voraussetzung für die globalisierte Wirtschaft ist.

Ich kenne Studien, die zeigen, dass von einer bestimmten Ungleichheit an das Wachstum wieder sinkt. Es gibt die Hypothese, dass eine gewisse Ungleichheit Entwicklung fördert, aber die Länder, die in den letzten dreißig Jahren erfolgreich waren, von Singapur bis Taiwan, waren Länder mit einer vergleichsweise großen Gleichheit. Es fördert keine Gesellschaft, wenn x Prozent der schwarzen Männer in Gefängnissen sitzen und, wenn sie herauskommen, mit Drogen dealen. Da lasse ich mir Anschauung doch nicht durch irgendwelche spinnerten Theorien kaputtmachen.

Sind Sie optimistisch, dass Ihr World-Report Wirkung zeigen wird?

Der Time-Lag zwischen Vorschlägen und ihrer Umsetzung ist groß. Außerdem wird man hierzulande schnell zum Nestbeschmutzer, wenn man kritisch mit dieser Gesellschaft umgeht. Aber da gibt es ja auch noch die taz und die FAZ und eine offene Diskussion. Insofern bin ich auch optimistisch.

Auch für Afrika oder Asien?

In Afrika haben wir den Wettlauf zwischen den Geburtenwellen oder den Menschenwellen, die in den Städten anlanden, und den relativ kleinen Bewältigungskapazitäten in den Städten. Im Augenblick ist es so, dass die informellen Siedlungen schneller wachsen als die formellen. Der Anteil der nicht integrierten Menschen mit sehr niedriger Produktivität und Einkommen wächst.

Mit welchem Ergebnis?

Man könnte sagen: Die Welt geht genau wie in der Vergangenheit nicht unter, wenn Seuchen entstehen, Aids grassiert und Hunderttausende früher sterben. Aber das wäre schon ein ungeheurer Zynismus. Hier tickt eine Zeitbombe, weil ungeheures Leid entsteht.

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