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DRUCKVERSION Neuer Wüstenrot-Schick

Die Mittelschichten zieht es wieder in die Städte. Das bedeutet aber nicht unbedingt einen Zugewinn an Urbanität

von UWE RADA

Wie wohnt die deutsche Mittelschicht und vor allem wo? Kaum war die Berliner Mauer gefallen, schien die Antwort klar. Westberliner und Ostberliner kehrten ihrer Stadt in Scharen den Rücken und träumten plötzlich den Wüstenrot-Traum: Glück allein bringt nur das Eigenheim – auf der grünen Wiese.

Suburbanisierung nannten das die Stadtplaner, eine Goldgrube die Immobilienentwickler. Binnen kürzester Zeit entstanden im Berliner Umland neue Vorstädte wie Karow-Nord oder Wohnparks wie in Friedrichstal bei Bernau. So unumstößlich schien der Trend, dass die Politik die Stadtflüchtlinge sogar förderte – durch den Bau von schicken Sozialwohnungen am Stadtrand. Die Stadt war plötzlich Auslaufmodell, ein Ort nur noch für Yuppies oder Verlierer.

Heute wissen wir: Das Gegenteil ist der Fall. "Viele dieser Reißbrettsiedlungen sind Fehlplanungen", resümiert der Vizepräsident des Verbandes Deutscher Makler, Jürgen Michael Schick. "Sie wurden am Bedarf vorbei gebaut." Tatsächlich ist der Leerstand in den neuen Wohnparks erheblich. In den angesagten Innenstadtlagen dagegen konkurrieren Grafiker, Künstler und Umweltingenieure um Schulen, Kita- und Parkplätze. Auch dafür wurde schnell ein Begriff gefunden: Renaissance der Innenstadt.

Es sind vor allem die jungen Mittelschichtsbewohner, die den neuen Run auf die Stadt ausgelöst haben. Das hat Bernd Hallenberg herausgefunden. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes für Wohnen und Stadtentwicklung (vhw) hat als einer der ersten die Parameter der Immobilienwirtschaft mit denen der Milieuforschung abgeglichen. Das Ergebnis: Vor allem die Milieus der "Postmateriellen", der "modernen Performer" und der "Hedonisten" zieht es in die neuen schicken Altbauviertel der Innenstädte. Zurück auf der grünen Wiese bleibt die "bürgerliche Mitte", die das Milieumodell von Sinus Sociovision zu den "Traditionalisten" zählt.

Und noch etwas hat Hallenberg herausgefunden. Die neuen Milieus der Mittelschicht wachsen. Schon heute machten Performer und Hedonisten ein Drittel der Stadtbevölkerung aus, Tendenz steigend. Für Köln zum Beispiel, wo heute nach der Milieuforschung 33 Prozent zu den nicht-traditionellen Mittelschichtsmilieus gehören, sagt Hallenberg bis 2020 einen Anstieg bis auf 51 Prozent voraus.

Die neue Nachfrage hat inzwischen auch das Angebot umgekrempelt. Nach den protzigen und exklusiven Townhouses entstanden in Berlin in den vergangenen Jahren innerstädtische Wohnprojekte für junge Familien. Auffallend: Der Wohnpark wird dabei auch semantisch zu Grabe getragen, stattdessen lebt man nun in "Gärten" wie etwa den Prenzlauer Gärten und den Winsgärten oder in "Höfen" wie MarthasHof, ein Schickimicki-Projekt in Prenzlauer Berg, das verspricht, das Lebensgefühl auf dem Land mit dem in der Stadt verschmelzen zu wollen.

Aber auch die weniger betuchte Klientel hat die Renaissance der Innenstadt erreicht. "Baugruppen" heißt das Zauberwort für junge Eltern, die sich mit anderen Familien den Traum vom selbstbestimmten Wohnen erfüllen – und gleichzeitig Kosten Sparen wollen. Ganz ohne Bauträger und Developer verwirklichen sich die Baugruppen mitten in der Stadt – und setzten nebenbei auch jene architektonischen Akzente, die das Mittelschichtswohnen sonst so schmerzlich vermissen lässt.

Doch nicht überall wo Stadt drauf steht, ist auch Stadt drin. Vor allem in den Feuilletons der überregionalen Tageszeitungen ist in den vergangenen Jahren ein Streit darüber entbrannt, ob die neuen Wohnprojekte in den Innenstädten nun mehr Urbanität bedeuten oder mehr Provinz. Letzeres etwa behauptet der Ethnologe Wolfgang Kaschuba, der in seinem Forschungsprojekt über Einfamilienhäuser auch die Townhouses am Berliner Außenministerium unter die Lupe genommen hat. Die sind für Kaschuba nichts anderes als "Inszenierung und Rückzug des Ichs in exklusiver Form". Sogar ein bisschen Spott hat der Ethnologe für die Objekte seiner Feldforschung übrig. Zum Jahresende verriet Kaschuba der taz: "Der nächste Härtetest wird sein: Was hängt zu Weihnachten in den Fenstern?" Ganz anders sieht das Heinrich Wefing, der die Townhouses in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit dem Hinweis verteidigt: "Vieles deutet darauf hin, dass die aktuellen Lebensentwürfe deutlich urbaner sind als noch vor ein, zwei Generationen."

Welche Urbanität die neuen Mittelschichten in die Städte mitbringen, kann man unter anderem in den Prenzlauer Gärten im Berliner Trendviertel Prenzlauer Berg beobachten. Dort hat, nach dem Vorbild der Londoner Szeneviertel Notting Hill oder Kensington, der Berliner Architekt Stephan Höhne 60 Reihenhäuser bauen lassen – und einen Vorgeschmack darauf gegeben, wie sich der Stadtbürger von heute das Wohnen von morgen vorstellt: gediegen, aber nicht protzig, individuell, aber nicht marktschreierisch, zurückgezogen, aber nicht vom Schuss. Fast so wie der alte Traum von Tucholsky: Vorne die Friedrichstraße, hinten die Ostsee.

Langsam freilich beginnt sich herumzusprechen, dass Projekte wie die Prenzlauer Gärten im Grunde den gleichen Wüstenrot-Schick verbreiten wie die Doppelreihenhäuser am Stadtrand. Das hat vor allem mit dem Klientel der "Gärten" und "Höfe" zu tun. "Im Prenzlauer Berg", sagt die Stadtsoziologin Christine Hannemann , "ging es schon vorher provinziell zu." Sozial und kulturell entwickele sich der Bezirk aus der Stadt heraus. Man kann es auch anders sagen: Rund um den "Bionade Biedermeier" des Kollwitzplatzes hat das Wohnen auf der grünen Wiese die Stadt erobert. Nicht nur den Wüstenrot-Schick bringen die neuen Städter vom Stadtrand mit, sondern auch die Anspruchshaltung. In den gewachsenen Altbauviertel gehört der Kompromiss (Lärm, Gewerbe, Parkplatzsuche) zur urbanen Kultur, in den neuen "Gärten" und "Höfen" ist man kompromisslos. Suburban beauty mitten in Berlin. In den Prenzlauer Gärten hat man vorsichtshalber einen Zaun gezogen. Bei Bedarf trennt er die neue, heile Welt vom Rest der Stadt.

Den Trend zur Gated Community, zu abgeschlossenen Wohnanlagen wie in den USA, beinhaltet die Renaissance der Stadt noch nicht, wohl aber das Bedürfnis, unter sich zu bleiben, beobachtet auch Bernd Hallenberg. Für ihn ist deshalb klar: Das alte Leitbild der Stadtplaner von der "sozialen Mischung" hat ausgedient. Für Hallenberg nicht unbedingt eine Schreckensvision: "Auch Homogenität kann gut sein, je nach Verteilung im Quartier", sagt er. Auch soziale Spannungen würden durch Segregation nicht zwangsläufig zunehmen: "Mit der steigenden Zahl modern lebender geht es auch toleranter zu."

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