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Die Ausstellung "Grenze. Welche Grenze?" macht mit einer interessanten Botschaft auf sich aufmerksam. Nicht mehr Kunstprojekte sind der Motor der Grenzgängerei an Oder und Neiße, sondern Unternehmungen, die sich für beide Seiten rechnen - ideell, aber auch wirtschaftlich

von UWE RADA

Jetzt suchen sie gemeinsam. 200 Jahre Geschichte versammelte die Ortschronik der Gemeinde Baudach, doch seit 1945 ist sie verschwunden. Liegt sie irgendwo versteckt im heute polnischen Budachów? Oder haben die Deutschen sie mitgenommen bei Flucht und Vertreibung? Bis 2007 interessierte das niemand. Seitdem aber gibt es den ersten deutsch-polnischen Heimatverein, erzählen Willi Gerlach und Teresa Barnas. "Nasz Budachów/Unser Baudach" heißt er, und die Suche nach der Ortschronik steht derzeit im Mittelpunkt. Geschichte trennt Polen und Deutsche nicht nur, Geschichte kann sie auch verbinden.

"Unser Baudach" ist eines von elf Projekten, die seit Mittwoch in einer Ausstellung mit dem Titel "Grenze. Welche Grenze?" zu sehen sind. Und es erzählt, wie sich die Begegnungen zwischen Polen und Deutschen seit der Wende verändert haben. "Am Anfang haben die Deutschen über die Zäune geschaut und fotografiert", erinnert sich Teresa Barnas auf der Eröffnungsveranstaltung der Ausstellung im Bundesbauministerium. "Nun kochen wir gemeinsam Piroggen, verkaufen sie, damit wir das Dach unserer Kirche renovieren können."

Ein Heimatverein alleine hätte es bestimmt nicht in eine Ausstellung gebracht, die sich zum Ziel gesetzt hat, innovative und beispielgebende deutsch-polnische Unternehmungen vorzustellen. Der Verein von Willi Gerlach und Teresa Barnas aber agiert nicht nur vor Ort, sondern ist eingebettet in ein Netzwerk, das von der Europauniversität Viadrina bis hin zum studentischen "Verein für angewandte Geschichte" reicht. Folglich entstehen nach dem Vorbild von Budachów neue Heimatvereine - und das Netz von Spurensuchern wird immer dichter. Ganz so, wie es Darius Bochenski aus dem polnischen Gubin formuliert. "Die Aufmerksamkeit für die Grenzregion hat seit dem EU-Beitritt Polens nachgelassen. Oft ist auch weniger Geld da. Doch die Lücke wird gefüllt mit viel Engagement von unten."

Lücken füllen, das ist auch der Job von Malgorzata Iwona Gembiak. Seit mehreren Jahren organisiert das Busunternehmen "Interglobus", bei dem sie arbeitet, einen Shuttleverkehr zwischen Berlin und Stettin. Fünf Mal am Tag fahren die Kleinbusse vom Stettiner Bahnhof zum Alex, nach Tegel und Tempelhof - und machen wett, was die Bahn bislang unterlassen hat. Erst 2016 will die Bundesregierung die Strecke zwischen Berlin und der ihm am nächsten liegenden Metropole ausbauen.

"Die Nachfrage ist riesig", sagt Gembiak, "und sie wird steigen." Der Grund: 2011 öffnet auch Deutschland seine Arbeitsmärkte für Arbeitssuchende aus den neuen EU-Ländern. Im Gegensatz zur öffentlichen Bahn AG kann das private Business auf solche Nachfragen reagieren. Ein Lob der Marktwirtschaft - auch das gehört zur Ausstellung, die noch bis 2. Dezember in Berlin zu sehen ist - und dann die Reise entlang der Grenze antritt.

Es ist das Verdienst der Ausstellungsmacher - Steffen Schuhmann von anschlaege.de, der Architektin Jeannette Merker und der Journalistin Tina Veihelmann - den Fokus nicht erneut auf Kunstprojekte gesetzt zu haben. Vielmehr werden Projekte vorgestellt, die sich bezahlt machen - auf beiden Seiten der Grenze. So wie die Kulturinsel Einsiedel bei Görlitz, deren Betreiber Jürgen Bergmann mit dem ersten Baumhaushotel Deutschlands die Besucher ins "Zwischenland" zwischen Deutschland und Polen lockt. So erfolgreich ist Bergmann mit seinen Holzskulpturen, dass sich auch die polnische Seite angedockt hat. Bergmanns Devise hat sie überzeugt: "Wenn Menschen zusammenkommen sollen, muss es einen Grund dafür geben. Eine gemeinsame Sache geht dann weiter, wenn beide Seiten ein unmittelbares Interesse daran haben."

Seit dem Beitritt Polens zur EU sind inzwischen mehr als fünf Jahre vergangen. Viel ist damals spekuliert worden über die Bürde der Vergangenheit, über gegenseitige Stereotype und die Suche nach Sündenböcken für den Fall, dass die Region mehr noch als bisher als Verlierer aus dem globalen Standortwettbewerb hervorgeht. Nichts davon ist eingetreten. "Nicht mehr zwischen Deutschen und Polen besteht heute die Kluft, sondern zwischen den Jüngeren, die abwandern, und denen, die bleiben", sagt Malgorzata Iwona Gembiak.

Grenze, welche Grenze? Ganz offensichtlich ist das Grenzland zwischen Stettin und Zittau in der Normalität angekommen. Das gilt auch für die grenzüberschreitenden Projekte. Eine gemeinsame Kläranlage, wie sie das deutsche Guben und das polnische Gubin Anfang der 90er-Jahre bauten, ist heute keine Pioniertat mehr, sondern ein Unternehmen, das sich im Alltag bewährt. Voraussetzung dafür, sagt Wolfram Nelk vom dazugehörenden Abwasserverband, sei aber eine Kommunikation auf Augenhöhe.

Bleibt als einzige Barriere also die Sprachbarriere? Auch dafür gibt die Ausstellung ein Beispiel. Hans-Jürgen Ziele, in Brandenburg zuständig für die deutsch-polnische Feuerwehrkooperation, hat ein zweisprachiges Feuerwehrwörterbuch verfasst. Das war offenbar nötig, auch wenn Ziele sonst der Meinung ist: "Die Ersten, die an einer Grenze zusammenfinden, sind die Feuerwehrmänner. Ein Feuerwehrmann erkennt den anderen ohne Worte. Die arbeiten bei großer Hitze und müssen beim Feuerwehrfest einen drauf trinken."

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