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DRUCKVERSION Polen liegt in Friedrichshain

Von der Grünbergerbis zur Dolziger Straße: Neun Straßennamen sind in Friedrichshain nach ehemals deutschen Städten benannt, die seit 1945 in Polen liegen. Eine Kunstaktion stellt nun Fragen nach deren Zukunft

Von UWE RADA

Als Anfang der 70er Jahre in Friedrichshain das "Centrum Warenhaus" – auch für Kauflustige aus Polen – hochgezogen wurde, war der "Schlesische Bahnhof" längst in "Ostbahnhof" umbenannt worden. Auch die Straße, die zu ihm führte, hieß nicht mehr "Breslauer Straße", sondern "Am Ostbahnhof". Nichts sollte an den ehemaligen deutschen Osten erinnern und das Verhältnis der DDR zum Bruderland jenseits von Oder und Neiße trüben.

Dass damit auch ein Stück Berliner Geschichte aus dem Gedächtnis gelöscht wurde, nahmen die Verantwortlichen billigend in Kauf. Denn der Schlesische Bahnhof war eben auch ein Ort der Erinnerung an das 19. Jahrhundert. In den Mietskasernen seiner übel beleumdeten Seitenstraßen fanden Zehntausende Ankömmlinge aus den Ostprovinzen des Kaiserreichs Unterschlupf.

Straßennamen sind sowohl Speicher von Geschichte und Geschichten als auch Instrumente der Geschichtspolitik. Und manchmal, wie bei Hajo Toppius, bergen sie auch Überraschungen. Es brauchte seine Zeit, bis der Friedrichshainer Projektmanager realisierte, dass der Stadtteilladen "Zielona Góra" einen Bezug zur Grünberger Straße hatte, in der er sich befindet. Zielona Góra ist der polnische Name für die Stadt Grünberg, die seit 1945 nicht mehr deutsch ist.

Schnell fanden Toppius und seine Mitstreiterin Luise Scholl vom Büro "Kollegen 2,3" in der Rigaer Straße heraus, dass es neben Grünberg noch acht weitere Orte gibt, die einst zu Deutschland gehörten und nun in Polen liegen. Das war die Geburtsstunde des Projektes "93 Straßenschilder", das am Donnerstag in der Alten Feuerwache in der Friedrichshainer Marchlewski­straße eröffnet wird.

"Es war nicht so, dass wir dachten, wie müssen uns mit der deutsch-polnischen Geschichte beschäftigen", beschreibt Toppius den Auslöser der Projektgründung. "Es war eher so, dass diese Geschichte zu uns kam." Und dass sie nun von Toppius, Scholl und dem jungen polnischen Künstler Franciszek Orłowski bearbeitet wird. Mit pinkfarbenen Sockeln in Gestalt der polnischen Nachkriegsgrenze werden vom 13. August bis zum 20. September alle 93 Straßenschilder der neun "polnischen Straßen" Friedrichshains markiert. An den Schildmasten werden Textfragmente in Deutsch und Polnisch angebracht, die von Geschichte und Gegenwart der jeweiligen Stadt erzählen.

Zum Beispiel von Dolzig, heute Dłużek, einem kleinen Dorf in Niederschlesien. Es wäre nicht der Rede wert, wäre es nicht Geburtsort von Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg. Die war, die Moabiter Kaiserin-Auguste-Straße erinnert daran, letzte deutsche Kaiserin.

Die Breslauer, Memeler, Tilsiter und Grünberger Straße waren allesamt vor dem Ersten Weltkrieg per Königliche Kabinettsorder benannt worden – sie waren eine Hommage an Berlins armes Einwandererviertel, in dem nicht nur die Züge aus Schlesien, sondern auch aus Ostpreußen ankamen.

Als die ostdeutschen Gebiete nach 1945 sowjetisch oder polnisch geworden waren, stand die DDR vor der Frage, wie sie benannt werden sollen. Kaum hatte Ostberlin 1950 den Görlitzer Vertrag unterschrieben und damit die Oder-Neiße-Grenze anerkannt, wurde nicht nur das Viertel rund um den Schlesischen Bahnhof umbenannt. Auch die Tilsiter Straße wurde nach dem Antifaschisten Richard Sorge benannt, und die Memeler Straße bekam den Namen des (polnischen Kommunisten) Julian Marchlewski. Insgesamt benannte man zwischen 1950 und 1989 in Friedrichshain 39 Straßen und Plätze um.

Was aber soll mit den neun Namen geschehen, die die DDR übrig gelassen hat? Sind Namen wie Grünberger Straße oder Dolziger Straße nun Zeugnisse der kaiserlichen Geschichtspolitik Ende des 19. Jahrhunderts? Oder sind sie – in polnischen Augen – auch eine Provokation? Müsste die Grünberger Straße nicht, wie in Cottbus, Zielona-Góra-Straße heißen?

"Wir wollen die Straßen nicht umbenennen", sagt Toppius, "aber wir wollen Diskussionen anregen." Ähnlich sieht es auch Alicja Adamczyk von Agit Polska, einer deutsch-polnischen Initiative für Kulturkooperationen. "Wir freuen uns vor allem, dass die Initiative zur Auseinandersetzung mit diesem Thema von deutscher Seite kam und nicht von polnischer Seite", ergänzt sie.

Adamczyk selbst war überrascht, dass es die Namen vor allem kleiner Ortschaften waren, die die Umbenennung zu DDR-Zeiten überdauert haben. Wie die Dolziger Straße ist auch die Kadiner Straße, heute Kadiny, nach einem Dorf benannt. Der Name erinnert an die "Cadiner Kacheln", die beim Bau mehrerer U-Bahnhöfe in Berlin, aber auch beim Hamburger Elbtunnel verwendet wurden.

Für Franciszek Orłowski steht die Frage nach der Umbenennung ebenfalls nicht im Vordergrund. Der 1983 in Posen geborene Künstler nimmt die "polnischen Straßen" in Friedrichshain zum Anlass, in einer audiovisuellen Installation über deutsche und polnische Stereotype nachzudenken. Im Mittelpunkt stehen das deutsche Auto und die Frage, wie oft es von polnischen Dieben geklaut oder, früher, von polnischen Zwangsarbeitern produziert wurde. Die Idee dazu beruht auf einem Missverständnis. Als er erfuhr, dass die Proskauer Straße nach dem heute polnischen Prósz­ków benannt ist, fiel ihm sofort jener Ort bei Warschau ein, der für seine Autoschmuggler berüchtigt ist. Tatsächlich aber liegt das ehemalige Proskau in der Nähe von Oppeln in Schlesien.


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