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DRUCKVERSION Hart an der Grenze

Frankfurt (Oder) und Eisenhüttenstadt sind die Hochburgen der rechtskonservativen Alternative für Deutschland (AfD). Ein Grund dafür ist die steigende Kriminalität. Kippt die Stimmung im deutsch-polnischen Grenzgebiet? Eine Erkundung

Von UWE RADA

René Wilke macht es sich nicht leicht. "Es ist falsch, die AfD einfach so als Wolf im Schafspelz vorzuführen. Was ist denn, wenn die Partei nicht nur von Rechtsradikalen und ehemaligen NPD-Mitgliedern unterwandert ist? Was, wenn sie auf die einfachen Fragen vieler Wähler ebenso einfache Antworten liefert? Wie reagieren wir dann?"

René Wilke, 30, ist Fraktionsvorsitzender der Linken in Frankfurt (Oder), und er weiß, was die einfachen Fragen der Wähler sind: Warum ist die Zahl der Diebstähle gestiegen? Warum gibt es weniger Polizei? Wer ist daran schuld?

Im September hat Wilke bei den Landtagswahlen ein Direktmandat in Frankfurt geholt. Doch die Freude des gebürtigen Oderstädters ist getrübt. Die rechtskonservative Alternative für Deutschland (AfD) holte hier aus dem Stand 19,7 Prozent. Nun gilt die Grenzstadt an der Oder als eine der Hochburgen der rechten Populisten.

"Es gibt bei der AfD viele, die nicht nach Lösungen für Probleme suchen, sondern lieber Angst und Wut schüren", sagt Wilke - und räumt ein, dass die AfD damit auch im Linken-Lager wildern konnte. "Viele Wähler, die sich als Verlierer oder abgehängt fühlen, suchen für ihre Lage einen Schuldigen. Das sind dann die Politiker in Potsdam, die Flüchtlinge oder eben die Polen in Slubice."

Frankfurt an der Oder - das ist nicht zu übersehen - tritt auf der Stelle. In der Karl-Marx-Straße reihen sich die Ramschgeschäfte aneinander, die ehemalige Fußgängerzone in der Großen Scharrnstraße wirkt wie ausgestorben, das Restaurant im Oderspeicher am Flussufer ging pleite. In Frankfurt geht man nicht essen, sondern zum Basar nach Slubice. Der jüngste Coup des Bürgermeisters ist ein geplantes Outlet-Center auf der Frankfurter Seite der Stadtbrücke. Polnische Kunden machen jetzt schon ein Fünftel des Umsatzes des Frankfurter Einzelhandels aus. Nun sollen sie auch noch das künftige Outlet-Center stürmen. Für die einen sind die Polen in Frankfurt einfach nur Diebe. Für die anderen sind sie die allerletzte Hoffnung.

Für Wilko Möller sind die Polen die Gewinner. Der Bundespolizist sagt, dass bei deutsch-polnischen Projekten kaum noch eine Begegnung auf Augenhöhe stattfindet. "Die Polen geben den Ton an, und die Deutschen haben Komplexe", betont Möller,

Es geht um "die Polen"

"Die Polen": Das hat man in Frankfurter lange nur gedacht, hat es sich hinter vorgehaltener Hand zugeflüstert. Schließlich verdankt die Stadt ihrer Grenzlage auch die Europa-Universität Viadrina, in den Clubs feiern deutsche und polnische Studierende gemeinsam, und der Aktionskünstler Michael Kurzwelly wird nicht müde, seine Vision von Slubfurt unter die Leute zu bringen. Mit Erfolg: Inzwischen ist die Doppelstadt Frankfurt-Slubice offizielles Leitbild der Stadtpolitik und das Logo von Frankfurt zieren auch die Oderbrücke und das polnische Slubice.

Wilko Möller findet, das sei jetzt genug. Seit den Kommunalwahlen vom Mai ist der Bundespolizist der AfD-Fraktionschef in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung. Demnächst will er einen Antrag einbringen, in dem er fordert, die Zusammenarbeit mit "den Polen" zurückzufahren. "Wir müssen uns wieder auf unsere eigenen Interessen konzentrieren statt auf Prestigeprojekte", sagt er.

Zu den Themen der AfD in Frankfurt zählt der 48-jährige Möller auch die Kriminalitätsbekämpfung. "In Brandenburg ist die Zahl der Landespolizisten von 11.000 auf 8.200 gesunken. Und das Ende der Fahnenstange ist nicht erreicht." Bis auf 7.800 soll die Zahl der Beamten reduziert werden, so hat es Rot-Rot im neuen Koalitionsvertrag beschlossen. Ursprünglich sollten in Brandenburg sogar nur noch 7.000 Landespolizisten Dienst schieben. Zu diesem Abbau, so Möller, komme der Stellenabbau bei der Bundespolizei. "Als die Grenzkontrollen wegfielen, hat man uns versprochen, dass wir hier andere Aufgaben bekommen. Stattdessen wurden 150 Stellen gestrichen. Kein Wunder, dass hier die Kriminalität nach oben geht."

Möller räumt gerade mit ein paar Parteifreunden das Wahlbüro an der Slubicer Straße aus, die direkt über die Brücke nach Polen führt. "So ist das bei einer neuen Partei", sagt der neue starke Mann der Frankfurter AfD. Er meint damit die Turbulenzen in Potsdam, die antisemitischen Äußerungen eines Nachrückers, die Medienberichte über Rechtsradikale in den Reihen der Euroskeptiker. "Man will die AfD zusammenschießen", sagt er und berichtet, wie ihn das ZDF-Fernsehen gelinkt habe. "Wir sind mit meinem Auto nach Polen gefahren, wo ich kurz getankt habe. Das haben die gefilmt und gesendet. Die Botschaft: Möller will weniger Zusammenarbeit mit den Polen, geht aber gern bei denen tanken."

Brücke der Angst: Noch würde in Frankfurt niemand die Oderbrücke so nennen. In Eisenhüttenstadt ist das anders. Dort wird derzeit ein neuer Grenzübergang über die Oder gebaut, und viele denken so wie Torsten Noack. "Die Brücke schürt den Hass", verriet der Inhaber eines Autohauses vor der Wahl einer Reporterin der Wochenzeitung Die Zeit. In den vergangenen anderthalb Jahren seien ihm vier Autos gestohlen worden, dazu Werkzeug im Wert von mehr als 10.000 Euro.

Bürgerwehr auf Streife

Seitdem läuft Noack regelmäßig mit einer Bürgerwehr Streife. Die AfD hat diese Angst im Wahlkampf aufgenommen und die Rückkehr der Grenzkontrollen gefordert. In Eisenhüttenstadt haben die Rechtspopulisten bei der Landtagswahl 21,3 Prozent geholt. Die Politik der Angst hat gefruchtet.

Das mit der Bürgerwehr macht Wilko Möller etwas Kopfzerbrechen. Nicht weil er etwas dagegen hätte, dass die Bürger selbst für ihre Sicherheit sorgen. Aber als Bundespolizist muss er auch über das Gewaltmonopol des Staates wachen. Also sagt der Frankfurter AfD-Mann: "Ich kann das gut verstehen, wenn man bis zu einer halbe Stunde auf die Polizei warten muss, wenn man sie mal braucht. Als Notlösung ist das in Ordnung. Es darf nur zu keiner Dauerlösung werden."

Von der einstigen Grenze ist in Frankfurt und Slubice nur noch wenig zu sehen. Die Abfertigungsgebäude des Bundesgrenzschutzes und der polnischen Straz graniczna sind abgebaut, über die Brücke rollt der Verkehr. Und wenn er einmal nicht rollt, liegt es nicht an Grenzkontrollen, sondern an einer Baustelle.

Gerade wird eine Fernwärmeleitung unter der Brücke verlegt. Damit sollen nicht nur in Slubice die Energiekosten sinken, sondern auch in Frankfurt. Für Möller ist das ein weiteres unnützes Prestigeprojekt. Damit, sagt er, bekämpft man keine Verbrecher.

Verkappte Kontrollen

Seit dem Wegfall der Grenzkontrollen im Dezember 2007 ist die Zahl der Einbrüche und Diebstähle in Brandenburg gestiegen. Vor allem der Autoklau hat zugenommen. Im vergangenen Jahr wurden in Brandenburgs Grenzregion 651 Fahrzeuge gestohlen, 105 mehr als im Jahr zuvor (siehe Kasten). Gleichzeitig ist mit der Polizeireform, die Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) noch als Innenminister durchgesetzt hat, das Polizeipräsidium in Frankfurt aufgelöst worden. In der Stadt mit ihren knapp 60.000 Einwohnern fahren nur noch vier Polizeiautos Streife. Bis August, in der heißen Phase des Wahlkampfes, waren es sogar nur noch zwei.

Als die Rufe nach mehr Polizei im Frühjahr lauter wurden, antwortete Brandenburgs Innenminister Ralf Holzschuher (SPD) auch mit der Ankündigung, verkappte Grenzkontrollen aufnehmen zu wollen. "Wir werden das machen, was Schengen im Rahmen des Zulässigen gerade noch hergibt. Wir werden extensiv an die Grenze dessen gehen, was möglich ist. Wir werden unmittelbar vor allen Straßenübergängen kontrollieren." Schon vor der Wahl hatte die AfD ihren ersten Erfolg.

Sorgen in Polen

Ja natürlich gab es da Bedenken, meint Beata Bielecka. Die Redakteurin der Tageszeitung Gazeta Lubuska sitzt in ihrem Einfraubüro am Plac Przyjazni, dem Platz der Freundschaft, in Slubice und schaut aus dem Fenster. Über die Straßen rollt der Feierabendverkehr, ein paar Rentner sitzen im Park und plaudern. "Wenn da draußen ein deutsches Polizeiauto anhält und Passanten kontrollieren würde, wäre das sicher ungewöhnlich", sinniert Bielecka. "Genauso ungewöhnlich wäre es, wenn ein polnisches Polizeiauto in Frankfurt einen deutschen Wagen anhält. Aber das ist nur ein weitere Schritt in die Normalität. Wenn man die Grenze aufmacht und die Grenzkontrollen abschafft, dann muss man auch die nächsten Schritte gehen."

Bielecka schreibt seit der Wende für die Slubicer Seite ihrer Zeitung, die in Zielona Góra erscheint, sie kennt die Befindlichkeiten auf beiden Seiten der Oder. Die Bedenken, die sie zitiert, betreffen das deutsch-polnische Polizeiabkommen, das im Mai von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und seinem polnischen Kollegen Bartlomiej Sienkiewicz in Zgorzelec unterzeichnet wurde und im kommenden Jahr in Kraft treten soll. Dann werden erstmals gemischte Streifen in beiden Ländern möglich sein. Auch zur Strafverfolgung darf die Grenze dann überschritten werden. Ein Meilenstein, sagt nicht nur Beata Bielecka, sondern auch Brandenburgs Ministerpräsident Woidke.

Wilko Möller sieht das anders. "Was nutzt mir die Kooperation, wenn ich die Polizisten nicht habe", sagt Frankfurts AfD-Fraktionschef. Er sagt nicht, dass polnische Polizisten auf Brandenburgs Straßen nichts zu suchen haben. Er sagt aber auch nicht, dass er sie sich wünscht. Die Botschaft des AfD-Wahlkampfs lautete: Wir wollen mehr deutsche Polizisten, die deutsche Bürger vor polnischen oder ukrainischen Banden schützen.

Beata Bielecka weiß, wie die AfD Stimmung macht. Aber sie weiß auch, dass das keine Nazis sind. Das sei einerseits beruhigend, denn fast 20 Prozent für die NPD seien in Polen ein Alarmsignal gewesen. "Auf der anderen Seite wissen wir, dass die NPD in Deutschland politisch isoliert ist. Bei der AfD aber heißt es nun immer, man müsse die Sorgen der Menschen ernst nehmen."

Dass zwischen Frankfurt und Slubice wieder Schlagbäume stehen werden, glaubt die Journalistin aber nicht. "Dazu sind wir viel zu sehr aufeinander angewiesen. Die Deutschen fahren mit dem Grenzbus zum Basar, die Polen gehen in den Frankfurter Geschäften einkaufen. Die meisten Verkäufer können inzwischen dzien dobry und do widzenia sagen."

Angst vor der Zukunft

Das Grenzgebiet zwischen Deutschland und Polen, hieß es einmal vor dem Beitritt Polens zur EU im Jahre 2004, sei ein Seismograf für die Beziehungen beider Länder, ein Stimmungsbarometer für die Politik in Berlin und Warschau. Das hat sich inzwischen geändert. Berlin und auch Potsdam sind für viele Ostbrandenburger weit weg, sie fühlen sich abgehängt und im Stich gelassen. "Die AfD hat diese Stimmung gut aufgefangen", sagt Martin Patzelt. Der CDU-Politiker war lange Zeit Oberbürgermeister in Frankfurt (Oder), nun sitzt er im Bundestag und hat letztens mit seiner Forderung aufhorchen lassen, dass auch ganz normale Familien Flüchtlinge aufnehmen sollen.

Allerdings weiß er auch: "Die Menschen haben Angst vor der Zukunft und sehen Veränderungsbedarf, den die Politik aber so schnell nicht realisieren kann." Es ist nicht nur die steigende Kriminalität, sondern auch diese Frustration, sagt Patzelt, die der AfD in der Grenzregion hat stark werden lassen. Nun komme es darauf an, zu zeigen, dass auch die AfD nicht einfach alles anders und besser machen kann.

Für Barbara Eisenmann sind das inzwischen leere Worte. Sie ist in der Grenzregion geboren, hat das schwierige Verhältnis zu den polnischen Nachbarn zu DDR-Zeiten mitbekommen und die Euphorie nach dem Mauerfall und dem EU-Beitritt Polens. "Vieles war da doch nur Symbolpolitik", sagt die Mittvierzigerin, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. "Die Politiker haben sich auf der Stadtbrücke die Hände geschüttelt, und die Leute haben sich gefragt, was ihnen das bringt."

Den Wahlerfolg der AfD sieht die engagierte Frankfurterin deshalb auch als Chance. "Man muss die Dinge beim Namen nennen können, ohne immer alles schönzureden. An einer Grenze wie dieser gibt es auch Probleme."

Ein Problem zum Beispiel ist für Eisenmann, dass die Frankfurter und viele Studierende der Viadrina immer noch in zwei verschiedenen Welten lebten. "Die Studenten kommen morgens vom Bahnhof in die Uni, und abends fahren sie wieder nach Berlin zurück. So wird es in Frankfurt nicht bunt."

Wenn man die Probleme nicht benenne, sagt Eisenmann, glaube einem auch keiner, welche Erfolge es inzwischen gibt. Und diese Erfolge seien durchaus da. "Wir haben deutsch-polnische Schulprojekte, einen gemeinsamen Kindergarten, es gibt immer mehr Kinder, die hier zweisprachig aufwachsen." Eisenmann findet das toll. Weniger toll findet sie hingegen, dass auch in ihrem Schuppen schon einmal eingebrochen worden sei. "Wenn man darüber redet, gehört man doch nicht automatisch in die Ecke derer, die immer von den Polen reden."

Immerhin: Bei den Verhandlungen zwischen Linkspartei und SPD für die Neuauflage von Rot-Rot in Potsdam hat es auch für Frankfurt ein positives Ergebnis gegeben. "Die kurzfristigen Aufstockungen bei der Polizei, die es gab, werden nicht wieder rückgängig gemacht", sagt Frankfurts Linken-Chef und Landtagsabgeordneter René Wilke. "Wir bekommen in Teilen sogar den Stand von vor der Polizeireform zurück."

Ob sich die angespannte Stimmung auf der deutschen Seite damit verbessert? Wird die AfD gar bald entzaubert werden, wie es die etablierten Parteien hoffen? Martin Patzelt, der CDU-Politiker, der immer für eine Kooperation mit Polen eingetreten ist, meint, dass die Herausforderungen für die Grenzregion eher noch größer werden. "Das betrifft nicht nur die Kriminalitätsentwicklung, Wir werden noch sehr viel mehr Globalisierung und einen Anstieg der Flüchtlingsströme erleben. Auch in Frankfurt."


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