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DRUCKVERSION Wunder an der Adria

Vom Meer des Eisernen Vorhangs ist die Adria an vielen Orten zu einem Meer der Regionen geworden. Vor allem in Istrien hat die regionale Identität den Nationalismus verdrängt. Doch es zeigt sich auch ein Nord-Süd-Gefälle

von UWE RADA

Herzlichen Dank für die Einladung nach Piran, an diesen wunderbaren adriatischen Ort in Slowenien.

Vorneweg möchte ich anmerken, dass ich hier zu Ihnen nicht als Wissenschaftler und Forscher spreche, sondern als Autor, also als Reisender und Beobachtender. Ganz so, wie es einmal Claudio Magris formuliert hat: "Reisen ist eine Musilsche Erfahrung, eher dem Bewusstsein für die Möglichkeiten überantwortet als dem Realitätsprinzip." Und: "Reisen heißt, die Rechnung mit der Realität zu machen, doch auch mit ihren Alternativen, ihren Lücken; mit der großen Geschichte und mit einer anderen Geschichte."

Meine kleine Thesensammlung unter dem Titel "Wunder der Adria" ist so ein Versuch, die Realität am Möglichen zu messen und umgekehrt. Sie ist sowohl eine Essenz aus dem Buch "Die Adria. Die Wiederentdeckung eines Sehnsuchtsortes", das im September bei Pantheon erschienen ist, als auch einer Reise, die mich 2012 einmal rund um die Adria geführt hat.

Obwohl ich zuvor unzählige Male an diesem Meer war und seitdem immer auch wieder gewesen bin, war diese Umrundung jene Erfahrung, die es mir ermöglichte, auf die Realität zu schauen und gleichzeitig zu vergleichen: mit anderen Realitäten, mit anderen Identitäten, mit anderen Möglichkeiten. Die Umrundung erfolgte übrigens entgegen dem Uhrzeigersinn, über Caorle, wo ich als Zweijähriger zum ersten Mal dem Meer begegnete, und die Stadt Adria an der Po-Mündung, hinunter nach Bari und Otranto, dann mit dem Schiff zur Gegenküste, über Igoumenitsa nach Saranda, Vlora und Durrës und schließlich die Jadranska Magistrala über Montenegro, Neum, Kroatien und Slowenien zurück nach Caorle.

Es war im Grunde eine spontane Entscheidung, aus dem Bauch heraus: Erst später ist mir klar geworden, dass das auch die Richtung der Strömung ist, mit Hilfe derer schon in der Antike die Griechen die Adria besiedelt haben und die Handelsschiffe aus Adria, der Stadt also, die dem Meer den Namen gegeben hat, zurück ins Ionische Meer segelten.

Der Teutonengrill ist Geschichte

Lassen sie mich mit dem ersten Stichwort beginnen, das auch zu diesen "Wundern an der Adria" gehört, denn mein Titel meint den Plural. Es ist das Image, das die Adria im Vergleich zum Rest des Mittelmeeres hat.

Als ich 1965 mit meinen Eltern das erste Mal am Meer war, wusste ich noch nichts von Pier Paolo Pasolini. Sechs Jahre vor meiner Ankunft an der Adria, war der gebürtige Römer, der im Friaul aufwuchs, bereits genervt. Caorle sei mittlerweile "der Strand von Wien, München und Ulm", gruselte sich Pasolini, der im Auftrag der Illustrierten Successo 1959 die italienischen Küsten bereist hatte. Dabei war er auch in das einst verschlafene Fischerdorf gekommen, das nun den Deutschen gehörte: "Auf drei-, viertausend Einwohner und ein-, zweitausend Sommerfrischler aus Venetien kommen achttausend Deutsche", notierte Pasolini in seiner Reportage Die lange Straße aus Sand – und trauerte den Zeiten hinterher, als Caorle noch ein Geheimtipp war. "Ich schwöre, es war einer der schönsten Orte der Welt. Es gab keine Brücken, die Kanäle und Lagunen überquerte man auf sehr langsamen Flößen. Keiner kannte es."

Caorle wurde bald zum "Hausmeisterstrand" und Rimini zum Inbegriff des "Teutonengrills". Auch dort trug ein italienischer Filmregisseur Trauer:

"Was ich hier sehe, ist ein Rimini, das nicht mehr aufhört. Früher gab es rund um die Stadt viele Kilometer Dunkelheit, die Küstenbahn, eine holprige Straße. Man sah nur die gespensterhaften Umrisse von faschistischer Architektur: die Gebäude der Ferienkolonie am Meer. Im Winter, wenn man mit dem Rad nach Rivabella fuhr, hörte man den Wind durch die Fenster dieser Gebäude pfeifen, weil man die Fensterläden abgenommen hatte, um daraus Brennholz zu machen. Jetzt ist die Dunkelheit verschwunden."

So beklagte Federico Fellini, der in Rimini geboren wurde, den Verlust seiner Heimatstadt und ihrer kulturellen Identität. Ähnlich wie Pasolini trauerte Fellini der Alltagskultur der kleinen Leute, der bäuerlichen und dörflichen Bevölkerung und den Fischern hinterher, die nun der Urlaubskultur anderer kleiner, aber eben zahlungskräftigerer kleiner Leute gewichen war. "Teutonengrill", das ist nicht nur ein Synonym dafür, dass die Adria zum Massenmeer geworden ist, zum Urlaubsziel des deutschen und österreichischen Wirtschaftswunders, da an den Küsten der Adria dolce vita kennenlernte und dolcefarniente. Es ist auch der Begriff einer Entfremdung, der invasione tedesca.

Wie so viele Images hat auch das der Adria als Teutonengrill ein hartnäckiges Nachleben. Anders als beim Mittelmeer mit seinem Jetset rümpft man immer noch die Nase, wenn man Adria hört, dabei ist der Teutonengrill in Rimini längst Geschichte. Inzwischen sind es junge Russen, die dort Party machen, während die Kulturtouristen auf den Spuren der römischen Geschichte wandeln oder die romagnolische Küche entdecken. Indem sich Rimini vom Strand ab- und seinem Hinterland zuwendet, wird aus dem Urlaubsziel eine Region. Und, ganz nebenbei, die alte Trennlinie überwunden, über die schon Fellini räsoniert hatte. Gehörte Rimini Marina Centro schon damals den Touristen, war Rimini Centro Storico, die Altstadt, ganz in der Hand der Riminese. Heute ist beides gemischt. Die Touristen gehören zum Bild der Altstadt, während es die Riminese vor allem Sonntags und außerhalb der Saison, zur Passeggiata an den Strand und an die Mole zieht. Ein kleines, adriatisches Wunder, über das sich der Regisseur sicher gefreut hätte.

Albanien entdeckt die Adria

"Der Traum vom Meer als Ausgangstor zum Kennenlernen des Unendlichen kollidiert mit der Wirklichkeit eines Meeres, in dem man ertrinkt, und zerbricht daran."

Dieser Satz stammt von Fatos Lubonja, einem der wenigen Intellektuellen und Schriftsteller Albaniens, die auch im Westen bekannt sind. Lubonja erinnert an eine Tragödie aus dem Jahr 1997, bei der 81 Menschen den Tod fanden. Ein Schiff der italienischen Marine hatte ein albanisches Flüchtlingsschiff gerammt, kurz danach war es gesunken. Seitdem ist in Albanien von der Adria als einem "Meer der Tränen" die Rede. Aber nicht nur während der Unruhen 1997 war die Straße von Otranto eine Flüchtlingsroute, sondern auch schon 1991, nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft. Nicht nur Wunder gehören zur Adria, sondern auch Tragödien und Katastrophen.

Zum Image der Adria gehört also auch das Meer des Eisernen Vorhangs, wenn man so will, ist die Festung Europa seine Fortsetzung. Nirgendwo war dieser Vorhang so dicht zugezogen wie in Albanien. 750.000 Bunker hat Albaniens Diktator Enver Hoxha zwischen 1973 und 1984 bauen lassen, je einer für vier Bewohner des Landes. Viele von ihnen bewachten die albanische Küste. Das Meer war plötzlich umkämpftes Gebiet, Verteidigungsland; wer sich an die Küste begab, machte sich verdächtig. So zog sich also das kommunistische Albanien wieder in die Berge zurück, dorthin, wo schon im 15. Jahrhundert Gjergi Kastrioti alias Skanderbeg gegen die Türken gekämpft hatte.

Und diese Berge haben es in sich. Mit einer mittleren Höhe von 700 Metern über Normal Null ist Albanien das am höchsten gelegene Land Europas. Und weil die Geografie, wie Lubonja einmal sagte, die "hartnäckigste Sache der Welt" sei, wurde aus Albanien, in dem die maritime Kultur wie auch die Bergkultur zuhause war, und das bei seiner ersten Unabhängigkeit 1912 mit Vlora eine Adriastadt zu seiner Hauptstadt erkor, wieder eine reine Bergkultur.

Doch inzwischen wird die Adria wiederentdeckt. Überall an der Küste herrscht Bauboom, in den Ferien sind die Strände voll, Bunker werden zu Appartmenets umgebaut, ein gemeinsames Illyrian Coastal Exploration Program mit Montenegro und Kroatien soll die Hinterlassenschaften der illyrischen Geschichte zutage fördern.

Für die aus Albanien stammende Schriftstellerin Lindita Arapi ist die Adria inzwischen auch ein Versprechen: "Die Verbindung zu Europa durch dieses Meer ist eine Sehnsucht in diesem Land. Es war eine Trennung. Es war uns bewusst, dahinter ist Europa, und wir gehören nicht dazu. Aber es ist auch vielsagend, dass, als die Wende kam, die ersten Versuche, nach Europa zu kommen über dieses Meer führten."

Die Tränen sind verflossen, nun schaut man auch mit Optimismus aufs Meer, und damit auch auf die Gegenküste. Eine grenzüberschreitende Region bringt Albanien derzeit eher mit Italien hervor als mit Griechenland.

Die Brücke von Otranto

Auch in Apulien, das sich 1991 abgeschottet hat gegen die Flüchtlinge, blickt man wieder auf die Gegenküste. Ein Beispiel dafür ist Biancamaria Bruno. 2011 hatte die Chefredakteurin der Zeitschrift Lettera Internazionale ein Heft über die Adria als "Schnittstelle Europas" herausgegeben. Sie selbst war nach Tirana gereist – und überrascht von einem Land im Aufbruch. "Von seiner Kultur her", schrieb sie in ihrem Beitrag, "ist Albanien so europäisch wie die Baltischen Staaten oder Slowenien."

Auch deshalb halten viele Autoren in Brunos Adriaheft den Ost-West-Gegensatz für nicht mehr ganz so entscheidend, wenn es darum geht, die Disparitäten der Adria-Region zu beschreiben. Viel bedeutender sei inzwischen der Nord-Süd Gegensatz, meint etwa Onofrio Romano. "Apulien und Albanien haben trotz unterschiedlicher Traditionen und Geschichte vieles gemeinsam", ist der der Bareser Politologe überzeugt. "Beide Gesellschaften wurden von den Zentren der Macht an den Rand gedrängt. Also haben die Bewohner der unteren Adria gelernt, das Beste daraus zu machen." Diese informelle Kultur des Durchwurschtelns, die Apulien und Albanien verbinde, nennt Romano eine "Anthropologie der Abwesenheit."

Denn die herkömmlichen Entwicklungsstrategien aus Brüssel, meint der Politologe, seien in Apulien und Albanien gescheitert. Selbst aus der Perspektive von Rom sind Bari und Vlora Städte des Südens, Afrika näher schon als Mitteleuropa. Von Brüssel seien also keine Wunder zu ewarten. Statt weiter auf Hilfe von oben zu hoffen, müsse man an der unteren Adria die Zukunft selbst in die Hand nehmen.

Das ist eine neue Definition der Region Apulien-Albanien: Die Straße von Otranto nicht als "Meer der Tränen", sondern als kulturelle Brücke, als Verbindung zweier Adriaregionen des Südens, die gar keine andere Wahl haben, als aus der Not eine Tugend zu machen.

Istrien als Vorbild

Gibt es ein Maß, mit dem grenzüberschreitende oder auch regionale Beziehungen, gar die Dynamik der Regionalisierung gemessen werden können? Wie kann man die Blickrichtungen kartieren, die die vom Eigenen wegführen zum Anderen. Ist es Furcht oder Neugier, die die Menschen in bestimmten Städten und Regionen auf die Menschen in anderen Städten und Regionen blicken lässt. Und was entsteht, wenn sich diese Blicke kreuzen? Konflikt oder Zusammenarbeit? Welche Faktoren spielen da hinein?

Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass die Adria nicht erst im 20. Jahrhundert, sondern schon in der Antike ein Meer der Flüchtlinge war. Der Nukleus des heutigen Split entstand, als die romanischsprachige Bevölkerung von Salona vor den Slawen und Avaren in die leeren Mauern des Diokletianspalastes floh. Auf den Felsen von Ragusa zog sich die romanischsprachige Bevölkerung ebenfalls auf der Flucht vor den Slawen zurück. Venedig wurde ebenfalls von Flüchtlingen der Lagune abgerungen, und in venezianischen Zeiten war Rovigno/Rovinj in Istrien eine Stadt, die immer wieder Flüchtlinge aufgenommen hat, wie der serbische Schriftsteller Milo Dor berichtete:

Auf dem alten Stadttor von Rovinj konnte man die Inschrift 'Il riposo dei deserti' lesen, was soviel wie 'Die Zuflucht der Verfolgten, Einsamen und Verlorenen' bedeuten sollte. Im Laufe der Geschichte hatte es immer Verfolgte, Einsame und Verlorene gegeben, denen hier in der auf einer Landzunge eng gebauten istrischen Stadt großzügig Asyl gewährt wurde. An dieses Tor klopften all jene, die vor verschiedenen Eroberern oder vor der Pest geflohen waren.“

Im Grunde ist das bis heute so geblieben. Als Jugoslawien in den blutigen Kriegen der neunziger Jahren zerfiel, kamen Flüchtlinge aus Bosnien, der Herzegowina, aus Serbien und der kroatischen Krajina nach Istrien, wo sie, der Tradition der Halbinsel folgend, das friedliche Zusammenleben dem Hass aufeinander vorzogen. So schreibt Istrien die Flüchtlingsgeschichte der Adria fort, die mit der Besiedlung des Diokletianspalastes in Split, des Felsens von Ragusa und der Lagune von Venedig begonnen hatte.

Und auch zu Titos Zeiten war die Halbinsel etwas ganz besonderes, wie ich zahlreichen Interviews entnehmen konnte, die ich im Mai während eines Stipendiums-Aufenthalts in Pazin erfahren konnte. Stellvertretend für viele Istrier sagt etwa Willam Negri, der einer alteingesessenen italienischen Familie aus Labin/Albona entstammt:

Du kannst hier der sein, der du bist. Keiner fragt dich, woher du kommst, welche Nationalität du hast, ob du Italiener bist, Bosnier oder Serbe.“

William Negri sagt, dass das schon zu jugoslawischen Zeiten so gewesen sei. Es sei für ihn geradezu ein Schock gewesen, als er 1985 zur jugoslawischen Volksarmee eingezogen wurde.

Ich war in Mostar stationiert, erst da habe ich erlebt, was in Jugoslawien los war. Da bin ich zum ersten Mal dem Nationalismus begegnet. Entweder sind sich Serben und Kroaten aus dem Weg gegangen, oder sie haben sich beschimpft. Und jeder wurde gefragt: Woher kommst du? Auch mich haben sie gefragt. Als ich gesagt habe, ich komme aus Istrien, haben sie gelacht und mir auf die Schulter geklopft. Ich war harmlos, irgendwie nicht geeignet für ihren Nationalismus.“

Wenn es unter den Rekruten Streit gab, sagt Negri, habe er immer vermittelt. "Heute würde ich sagen, ich war in Jugoslawien bei der Armee so eine Art Blauhelmsoldat."

Die regionale Identität, das habe ich in den fünf Wochen in Istrien gelernt, ist dort stärker als die nationale. Man ist in Rovinj oder Piran kroatischer, slowenischer, bosnischer, serbischer oder italienischer Istrier und nicht – und dieser Unterschied hat Leben gerettet – istrischer Kroate, Slowene, Bosniake, Serbe oder Italiener. Im Vielvölkerland Bosnien dagegen, diesem anderen Jugoslawien en miniature, war die nationale Identität immer stärker als die regionale. Das kosmopolitische Istrien ist die grenzüberschreitende und kulturelle Begegnungszone der Adria.

Diese Besonderheit ist ein Wunder. Und Istrien ist, als adriatische Referenzregion, vielleicht die Blaupause für weitere Wunder.

Grenzgänger und Grenzschützer

Doch das wird Zeit brauchen, denn in vielen anderen Regionen an der Adria geben nicht die Grenzgänger den Ton, sondern die Grenzschützer.

Das Epirus zum Beispiel ist, trotz der gemeinsamen Geschichte im Osmanischen Reich, keine grenzüberschreitende europäische Region. Stattdessen ist die Grenze zwischen Griechenland und Albanien auch eine mentale Grenze. Der Konflikt und das Ressentiment überwiegen die Neugier. Ähnliches, nur abgeschwächter, gilt für die Grenzregionen Albanien-Montenegro (trotz des gemeinsamen Shkodrasees) und Montenegro-Kroatien.

Mit dem EU-Beitritt Kroatiens hat sich eine weitere adriatische Grenze, der Neum-Korridor, verkompliziert. Für die Touristen mag der bosnische Zipfel an der Adria, der Kroatien in zwei Hälften teilt, eine Skurrilität sein, in Kroatien lassen sich damit lokale Wahlen gewinnen. Nachdem eine Brücke über die Halbinsel Pelješac aufs kroatische Festland offenbar zu teuer ist, soll es nun eine Transit-Straße auf Stelzen richten. Die Symbolik wäre fatal. Oben der Transit der EU-Bürger, unten die lokale, abgehängte Bevölkerung. Eine gemeinsame, grenzüberschreitende Region, gar eine regionale Identität, kann so nicht entstehen. Warum kann man da nicht an die Erfahrungen der kleinen Grenzverkehre, wie etwa zwischen Belarus und Polen, oder Polen und dem Kaliningrader Gebiet anknüpfen?

Manchmal müssen zwischen den Grenzziehungen an den Adriaküsten nicht einmal Staatsgrenzen liegen, wie das Beispiel des Po-Deltas zeigt. Eine grenzenlose und großartige Landschaft hat il fiume grande mit seinen Sedimenten im Nordwesten der Adria aufgeschüttet. Doch die beiden Regionen Italiens, zu denen das Delta gehört, das Veneto und die Emilia-Romagna, schaffen es nicht, die Region gemeinsam zu vermarkten. Stattdessen gibt es zwei Regionalparks mit zwei Verwaltungen, zwei Internetauftritten, zwei Tourismusvermarkter. Höchste Zeit also, dass die nationalen Regierungen und auch Brüssel die Vergabe von Geldern an gewisse Mindesstandards der Regionalisierung knüpfen. Regionale Egoismen sollen nicht dazu gehören.

Kultur als Motor der Regionalisierung

Wie aber können diese regionalen Egoismen, wie können die harten Grenzen, die an der Adria immer noch existieren, überwunden werden? Das ist, wie andere Beispiele etwa von der deutsch-polnischen Grenze zeigen, nicht nur eine Frage der Politik, sondern auch der Kultur. Ich freue mich deshalb, dass in der neuen Strategie der EU für die Region Adria-Ionisches Meer auf diese Rolle der Kultur ausdrücklich hingewiesen wird. Wie brauchen nicht nur eine blaue Wirtschaft, wir brauchen auch eine blaue Kultur. Denn wo grenzüberschreitende, kulturelle Netzwerke, Festivals, Konzerte existieren, bekommt das je eigene, das sich hinter den Grenzen versteckt, Konkurrenz.

Als ich im Mai in Istrien war, gab es in Umag ein Konzert von Thompson. Die Nationalisten gehen an die Grenzen, um zu provozieren. Zur gleichen Zeit fand in Umag, ebenso wie in Koper und Triest, eine weitere Auflage des Forum Tomizza statt. Die regionalen Initiativen gehen an die Grenzen, um darüber hinwegzuschauen und sich auszutauschen.

Deshalb darf die Peripherie auch nicht aus dem Blickfeld der Hauptstädte geraten. Die Frage, ob das Zusammenwachsen Europas eine Erfolgsgeschichte bleibt, wird auch an den Rändern entschieden. Diese Ränder brauchen deshalb Aufmerksamkeit und Entwicklungsperspektiven.

Wenn es etwa Ravenna gelänge, Europas Kulturhauptstadt 2019 zu werden, wäre das nicht nur die erste adriatische Kulturhauptstadt überhaupt. Es wäre auch ein Brückenschlag zur Gegenküste. Das byzantinische Erbe als Brücke. Regionalisierung und kultureller Austausch brauchen und vermitteln Neugierde. Nationale Grenzen sind nach wie vor der Gegenstand von Konflikten.

Küste und Hinterland

Von der istrischen Identität habe ich bereits gesprochen. Wie aber konnte es zu einer solchen regionalen Identität, jenseits der Geschichte Istriens als Flüchtlingsort, kommen? Ein sehr berührender Hinweis war für mich in Goran Vojnovićs wunderbarem Film Piran. Pirano enthalten. Es ist eben nicht nur ein Film über die Begegnung zweier Männer, aus denen der Krieg de facto Feinde gemacht hat. Der Film überwindet neben den Grenzen des italienischen und des slowenischen Narrativs, auch noch eine andere, eine Mentalitätsgrenze. Ich meine den Gegensatz zwischen Küste und Hinterland, zwischen den von der maritimen Kultur und von grenzenlosem Handel geprägten, kosmopolitischen Landstrichen und dem bäuerlichen Hinterland, von dem der kroatische Schriftsteller Predrag Matvejević einmal gesagt hat, es sei das "Andere" im Vergleich zur Küste: "Andere Bräuche stellen sich ein, die Menschen singen andere Lieder (…) In den Augen der Küstenbewohner sind sie mehr oder weniger eigentümlich und fremdartig."

Veljko, einer der beiden Helden in Piran. Pirano, kam als Befreier von Bosnien nach Piran. Gleich in der ersten Szene wird deutlich, in welchem Identitätskampf er steckt. Soll er dereinst in Piran begraben werden, oder in Bosnien? Wo ist seine Heimat? Zur Metapher dieses Konflikts wird das Wasser. Veljko kann nicht schwimmen. Am Ende steigt er aber doch in die Adria.

Die Frage, die dahinter steht, ist die: Wann wird einer aus den Bergen zum Bewohner der Küste? Und wie schafft es die Küste, die Überheblichkeit gegenüber ihrem Hinterland zu überwinden? Auch hier ist das Stichwort wieder Regionalisierung. Die Küstenstädte müssen etwas abgeben. Ich finde es etwa falsch, wenn in Istrien wieder darüber nachgedacht wird, die administrativen Funktionen von Pazin wieder an Pula zu geben.

Der Geschmack der Adria

Es gibt hier in Piran etwas, das man als ein allgemeinadriatisches Erbe bezeichnen kann. Es ist die Saline von Sečovlje, in der bis heute nach alter Tradition Salz gewonnen wird. Die hochwertigen Produkte, das wissen sie alle, kann man gleich hier in der Innenstadt im Venezianer-Haus kaufen. Das ist eine hübsche Ironie der Geschichte, denn einst hat Venedig Piran unterworfen, um einen Konkurrenten für das eigene Salzgeschäft auszuschalten.

Als ich vor einiger Zeit in Umag war, habe ich mich gefreut, dass dort, im kroatischen Istrien, inzwischen auch Salz aus Piran verkauft wird. Und ich habe mich gefragt, warum es nicht ein Netzwerk der adriatischen Salinen geben kann, das von Piran über Ulcinj in Montenegro und Mali Ston auf Pelješac bis nach Comacchio und Cervia in Italien reichen kann. Salz ist einer der Rohstoffe gewesen, der viele Städte an der Adria reich gemacht hat. Salz war aber auch das weiße Gold, das Venedig auf den Plan gerufen hat. Heute sind die Salinen eher das feuchte Gold, wie die Saline von Ulcinj zeigt, die nur nach internationalen Protesten vor einer Trockenlegung gerettet werden konnte. Sie ist auch ein wichtiger Rastplatz für Zugvögel und das letzte Feuchtgebiet an der montenegrinischen Adriaküste.

So ist das Salz einst eine Erfolgsstory der adriatischen Ökonomie gewesen. Und die Salinen sind ein gesamtadriatisches Erbe, das nicht nur jeweils vor Ort gepflegt werden darf. Warum keine adriatische Route des Salzes, die aufmerksam und neugierig macht auf die Salzproduktion an der jeweiligen Gegenküste? Warum keine Vermarktung von Adria-Salz mit regionalen Wertschöpfungsketten? Die Adria schmeckt – auch wegen ihres Salzes.

Das Salz als der Geschmack der Adria. Das wäre auch ein Beitrag zur makroregionalen Vermarktung der adriatischen Küche.

Das Wunder von Adria

Zum Schluss möchte ich noch eine weitere Anregung geben, die ebenfalls mit der Adria als Großregion zu tun hat. Es geht um den Namen des Meeres.

Wer von ihnen, meine Damen und Herren, kennt noch ein weiteres Meer, das einzig und allein nach einer Stadt benannt ist? Von der Adria spricht man in Venedig und im albanischen Vlora, im apulischen Bari und im montenegrinischen Bar. Mare Adriatico oder einfach nur l’Adriatico nennen die Italiener die Adria, Jadransko more oder Jadran die Slowenen, Kroaten, Bosnier und Montenegriner und Deti Adriatik die Albaner. Auch außerhalb des Adriaraums zieht niemand den Namen in Zweifel. Aдриатичеkoe морe heißt es im Russischen, im Polnischen morze adriatyckie, auf Spanisch Mar adriático und auf Türkisch Adryatik Denizi.

Andere Meere haben mehrere Namen. In seinem gelehrigen Buch über das Mittelmeer hat der britische Historiker David Abulafia daran erinnert, das dieses Meer schon immer ein "Meer mit vielen Namen" war: "Für die Römer war es 'unser Meer', für die Türken das 'Weiße Meer' (Akdeniz), für die Juden das 'Große Meer' (Yam gadol), für die Deutschen das 'Mittelmeer' und für die alten Ägypter das 'Große Grün'."

Auch die Ostsee hat uns bis heute ein Palimpsest der Namen hinterlassen. Ostsee nämlich heißt sie nur in Deutschland. Aus der Warte von Lübeck und der Hanse war es das Meer, das in den Osten reichte. In Polen heißt es dagegen morze bałtyckie, hergeleitet vom antiken Mare Baltikum. Die Esten dagegen bezeichnen das Meer, auch das eine Frage der Perspektive, als Westmeer.

Schließlich das Schwarze Meer. Wo einst die Argonauten das Goldene Vlies raubten, war unter Venedig und Genua vom Mare Maggiore, dem großen Meer, die Rede. Nach der türkischen Eroberung Anatoliens wurde dieser Begriff ins Türkische übersetzt: kara deniz. Doch kara heißt im Türkischen nicht nur groß, sondern auch trüb und finster. So wurde aus dem Großen Meer das Schwarze Meer, im Gegensatz zum Weißen Meer, Akdeniz, wie die Türken bis heute die Ägäis und das Mittelmeer nennen.

Welche Botschaft aber sendet diese Besonderheit „Adria“ aus? Als die Griechen im siebten und sechsten Jahrhundert vor Christus mit der Gründung von Epidamnos und Apollonia mit der Kolonisierung der Adria begannen und die Ostküste ihrer Magna Graecia einverleibten, war die Stadt Adria an der Po-Mündung ein florierender Handelsort. Bald exportierten die Veneter und Etrusker Getreide in die griechischen Kolonien, von dort kamen Öl, Wein und Keramik nach Oberitalien. Es war ein Austausch auf Augenhöhe, wie man heute im Archäologischen Nationalmuseum von Adria bestaunen kann – und mit der Zeit gaben die Griechen dem Meer den Namen Adriatike thalassa oder Adriatikos kolpos.

Dass das bis heute so ist, ist eines der großen Wunder, wenn nicht gar das größte an der Adria. Denn die Römer, die die Adria nicht mochten, wollten aus ihr das Mare Superum machen, im Gegensatz zu ihrem Meer, dem Mare Inferum, also dem Tyrrhenischen Meer. Und auch Venedig mochte die Adria nicht, obwohl sie doch von ihr profitierte. Auf einer Karte von Vincenzo Maria Coronelli aus dem Jahre 1688 lautet ihr Name Golfo di Venezia olim Adriaticum, also Golf von Venedig, vormals Adriatisches Meer.

Doch auch Venedig konnte sich nicht durchsetzen. Die Namensgeschichte der Adria ist somit ein historisches Erbe, das die gesamte Geschichte dieses Meeres von der Kolonisierung der in der Antike bis zur Gegenwart umspannt, und an eine Stadt erinnert, die laut dem Archäologen Fabrizio Boscarato vom Museum in Adria, schon immer weltoffen und multikulturell war.

Es ist mir allerdings bis heute ein Rätsel, warum die Stadt Adria bis heute nichts daraus macht. Liegt es daran, dass sie, nach der Bildung des Po-Deltas, nicht mehr am Meer liegt, sondern 15 Kilometer landeinwärts? Warum feiert sie sich nicht selbst, und warum feiern wir nicht in Piran, in Ulcinj, in Vlora, in Bari, in Dubrovnik, in Triest diese Stadt, die auch für die Eigenständigkeit des Meeres steht. Adria, das ist der Nukleus der adriatischen Identität.

Vielleicht wäre das ja eine Gelegenheit für Sie, Herr Hahn, in Brüssel anzuregen, einen Adriapreis auszuloben, der jedes Jahr in der Stadt Adria übergeben wird: für die beste grenzüberschreitende Initiative, für nachhaltige regionale Entwicklung, für die Bewahrung des kulturellen Erbes, für einen Dialog, in dem der Konflikt die Neugier nicht erstickt, und die Neugier den Konflikt nicht unter den Teppich kehrt.


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