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DRUCKVERSION Berlin dreht krumme Dinger

Die Panke ist wie die Bièvre in Paris ein vergessener Fluss. Ausgerechnet hier will der Senat die Brüsseler Wasserrahmenrichtlinie erfüllen. Ab diesem Jahr wird die Panke, Berlins drittgrößter Fluss, wieder naturnah

von UWE RADA

"Alles, was auf Schotter und Brachland blüht (…), Asche und Pfützen, verpestet durch die weichgewordenen Innereien von Matratzen und Haufen von Unrat in dem schlammigen Brei (…), all das wird einem hübschen Blödsinn Platz machen, der banalen Parade neuer Häuser!".

Diese Abrechnung von Joris-Karl Huysmans mit dem Sanierungsgeschehen im 19. Jahrhundert galt dem Verschwinden der Biévre, einem linken Nebenfluss der Seine, der heute unweit der hippen Rue Mouffetard im 5. Arrondissement von Paris in Rohren unter der Stadt fließt. Huysmans hat der Biévre schon 1877 eine Liebeserklärung gewidmet, doch genauso gut hätte er einen sentimentalen und zivilisationskritischen Text über die Panke schreiben können. Beide Flüsse, der in Paris und der in Berlin, haben mehr gemeinsam als man glaubt: Sie entspringen im grünen Umland der Metropole, fließen durch die Außenbezirke und erreichten schließlich mitten in der Stadt ihren Bestimmungsort Seine und Spree - bis sie, aus hygienischen Gründen, verschwinden mussten und neuen Häusern Platz machten.

Wie die 36 Kilometer lange Biévre war auch die Panke im 19. Jahrhundert ein Fluss der kleinen Leute. Ihre Ufer waren vor allem im Wedding von Handwerkern, Müllern und Gerbern bewohnt. 1882, kurz nachdem Huysmans über die Biévre schrieb, gab es im Weddinger Verlauf der Panke acht Mühlen und 23 Gerbereien. Zum Verarbeiten des Leders wurden täglich 500 Eimer Hundekot verwendet. Kein Wunder, dass die 29 Kilometer lange Panke, die bei Bernau entspringt und in Mitte in die Spree mündet, im Volksmund "Stinkepanke" hieß. Zahlreiche Industriebauten wie die 1714 errichtete Walkmühle an der Badstraße erinnern heute noch an diesen Abschnitt der Pankegeschichte.

Zu der gehört auch die frühe Kanalisierung. Damit die preußische Königin Charlotte auf ihren Kahnfahrten nicht nur das Schloss Charlottenburg und das Stadtschloss, sondern auch Schloss Schönhausen erreichen konnte, wurde die Panke begradigt und schiffbar gemacht. Doch das ist Geschichte. Ähnlich der Biévre in Paris musste Ende des 19. Jahrhunderts vor allem der Unterlauf der Panke weichen. Mit dem Bau des Humboldt-Hafens 1859 wurde der Großteils des Pankewassers in den Spandauer Schifffahrtskanal geleitet. Das restliche Rinnsal hieß nun "Südpanke" und wurde verrohrt - die Mündung in die Spree am Berliner Ensemble war nur noch ein Loch in der Ufermauer.

Auch die Berliner wandten sich vom drittgrößten Fluss der Stadt ab. Mitte des 19. Jahrhunderts notierte der Berliner Telegraf über die Panke: "Ihr ehemals anmutiges Tal wurde förmlich mit hässlichen Mietskasernen zugedeckt. Von der Natur blieb nichts mehr übrig." In den 1920er-Jahren sang Claire Waldorf: "Und steh am Ufer ick der Panke / möchte jleich ick wieder Leine ziehn / ei dem Jestanke / na, ick danke!"

1927 wurde das Baden im Pankower Bürgerpark verboten, aus hygienischen Gründen. Mit dem Mauerbau würde der Zufluss der Südpanke völlig gekappt, um Fluchtversuche zu verhindern. Seitdem fließt nur noch Regenwasser durch das Rinnsal: Die Panke wurde, wie die Bièvre, zum vergessenen Fluss.

Umso erstaunlicher ist, dass der Berliner Senat nun ausgerechnet die Panke zum ökologischen Referenzprojekt machen will. Den ökologisch guten Zustand der Gewässer erreichen, das ist das Ziel der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), die die EU bereits im Jahr 2000 beschlossen hat. Bis 2015 müssen die Mitgliedsländer das Ziel erreicht haben. In Berlin will sich der Senat ab diesem Jahr vor allem um seinen "Problemfluss" kümmern. Panke 2015 heißt das ambitionierte Projekt, bei dem der Flusslauf vielerorts wieder naturnah gestaltet werden soll.

Ein erstes Umdenken im Umgang mit der Panke hatte in Westberlin schon vor der Wende begonnen. Im Wedding wurde der Lauf begrünt und mit Uferwegen versehen. Benannt ist der Pankeuferweg heute nach Walter Nicklitz, dem Weddinger Baustadtrat, der den Bau des Grünzugs der Panke schon in den 1950er-Jahren begonnen hat.
Lauf sichtbar gemacht

Einen sprichwörtlichen Durchbruch hat die Panke nach dem Mauerfall geschafft. An zahlreichen Stellen wurde der Lauf der Südpanke wieder sichtbar gemacht. "Zwischen 1995 und 2006", freut sich der Landschaftsplaner Bert Grigoleit, "wurden 483 Meter des insgesamt 2.456 Meter langen Altarms freigelegt und mit einem Uferweg versehen." Dabei soll es nicht bleiben. Mit der Fertigstellung der BND-Zentrale auf dem Gelände des ehemaligen Stadions der Weltjugend soll auch hier der Pankelauf freigelegt werden.

Die vielleicht wichtigste Maßnahme ist, dass die Südpanke bald wieder Pankewasser führen soll. "Geplant sind 200 Liter pro Sekunde als dauernder Abfluss", freut sich Bert Grigoleit. Ein anspruchsvolles Ziel, wie er findet, fließt doch im Sommer mitunter selbst durch die Hauptpanke weniger. Zur Renaturierung der Panke gehört deshalb auch ein Niedrigwassermanagement inklusive künstlichem Wasseraustausch. "Schließlich soll die Panke nicht wie früher stinken", so Grigoleit. Schade sei nur, dass die Mündung in die Spree nicht freigelegt wird. Weil unter der Erde zu viele Leitungen verliefen, wolle man den Pankelauf, wenn überhaupt, durch einen oberirdischen Weg kenntlich machen.

Dass die Revitalisierung der Panke im Sinne der Berliner ist, zeigte jüngst der 4. Panketag im Rathaus Pankow. 150 Teilnehmer waren gekommen, um mit den Planern der Senatsverwaltungen für Umwelt und Stadtentwicklung die Maßnahmen zu diskutieren. Im Pankower Abschnitt der Panke soll ab 2013 im Bürgerpark und Schlosspark die Sohle verbreitert werden, um dem Bach die Möglichkeit zu geben, seinen Lauf selbst zu suchen. Auch ein Computerspiel gibt es dazu. Titel: "Gerade war gestern."

In diesem Jahr bereits beginnen die Bauarbeiten an der Parkstraße zwischen Schloss- und Bürgerpark. Hier werden die Betonstützwände erneuert. Dabei sollen auch sogenannte Mindesthabitats geschaffen werden - gezielte Anpflanzungen, um den Artenreichtum am Flusslauf zu erhöhen. Insgesamt "soll die Panke wieder zum Lebensraum für Muscheln, Fisch und Insekten werden", hat sich Andrea Wolter von der Senatsumweltverwaltung zum Ziel gesetzt. Ohnehin gebe es an der Grenze zu Brandenburg bereits Otter und Eisvögel.

Ganz ohne Kritik aber bleiben auch diese Pläne nicht. "Für die Panke ist das eine gute Perspektive", meint Manfred Krauß vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). "Wenn man aber die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie in der vorgeschrieben Zeit erreichen will, reicht es nicht, sich auf die Panke zu konzentrieren. Auch der ökologische Zustand in der Spree und der Havel muss verbessert werden."

In Paris soll der Lauf der Bièvre ebenfalls wieder freigelegt werden. Anders als in Berlin nimmt sich die Stadtverwaltung dafür aber reichlich Zeit. "Es hat 40 Jahre gedauert, um die Bièvre unter die Erde zu verbannen, also wird es auch 40 Jahre dauern, sie wieder sichtbar zu machen", heißt es in einer Machbarkeitsstudie.

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