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DRUCKVERSION Oderdämmerung

Sie ist einer der letzten frei fließenden Flüsse Europas, manche vergleichen sie mit dem Amazonas. In Brandenburg bildet sie den einzigen Flussnationalpark Deutschlands. Doch nun soll die Oder nach dem Willen der neuen polnischen Regierung zu einer Wasserautobahn ausgebaut werden. Umweltschützer beiderseits des Flusses sind alarmiert

von UWE RADA

Gerade jetzt, im Winter, ist das Zwischenoderland besonders eindrucksvoll. Zwischen Ostoder und Westoder frieren die Altarme zu, die ersten Zugvögel kommen zurück, über der wilden Oderlandschaft liegt eine Stille, die vergessen lässt, das nicht weit von dieser naturnahen Flusslandschaft die Großstadt Stettin brummt.

Doch die Idylle täuscht, wie Brandenburger Naturschützer und Politiker vor Weihnachten erleben mussten. Vertreter der polnischen Woiwodschaft Westpommern waren nach Criewen, dem Tor zum Nationalpark Unteres Odertal gekommen, um vorzustellen, wie sie sich die Zukunft der Oder vorstellen. Für den Landrat der Uckermark, Dietmar Schulze, waren die Pläne ebenso alarmierend wie für den Nationalpark-Mitbegründer und Träger des alternativen Nobelpreises, Michael Succow.

Was hatte die polnische Delegation im Gepäck? Um Stettin besser vor Hochwasser zu schützen, hieß es, sollen im Zwischenoderland 21 Kanäle ausgebaggert und 32 seit dem Zweiten Weltkrieg verfallene Wasserbauwerke, Schleusen und Durchlässe wieder instandgesetzt werden. Darüber hinaus sollen auf 60 Kilometer die Deiche modernisiert werden. Die Kosten in Höhe von 18,2 Millionen Euro, so die polnische Delegation, würde die Weltbank übernehmen.

Anders als der Nationalpark Unteres Odertal liegt das Zwischenoderland, auf Polnisch Międzyodrze, auf der polnischen Seite der Grenze. Offiziell hat es nur den Status eines Landschaftsschutzparks, in Wirklichkeit aber ist es für Naturschützer sehr viel wertvoller als der deutsche Nationalpark. Weil die Regulierungsbauwerke dieses 5000 Hektar großen Polders aus den Jahren von 1907 bis 1932 nicht instandgesetzt wurden, regelt hier die Natur den Wasserstand, es entstand ein Paradies für Vögel und Fische. Dass der Ausbau nur der Wasserregulierung und dem Schutz Stettins vor Hochwasser dienen soll, wird in Brandenburg angezweifelt. "Nicht einmal das Jahrhunderthochwasser von 1997 hat Stettin bedroht", heißt es im Potsdamer Umweltministerium hinter vorgehaltener Hand.

Oder soll zur Wasserstraße werden

Die Pläne für das Zwischenoderland sind nur ein Teil einer gewaltigen Kraftanstrengung, mit der die neue polnische Regierung die Oder wieder zu einer internationalen Wasserstraße ausbauen möchte. Um das ambitionierte Ziel umzusetzen, hat die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Ministerpräsidentin Beata Szydło sogar ein eigene Ressort geschaffen – das Ministerium für Meereswirtschaft und Binnenschifffahrt. Dessen Vizeminister Jerzy Materna erklärte gleich nach seinem Amtsantritt im Dezember, dass die gesamte Oder als Wasserstraße der Klasse IV ausgebaut werden sollte. "Von der dritten Klasse will ich nie wieder etwas hören, in dieser Frage gebe ich keinen Millimeter nach", sagte Materna der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza.

Die Wasserstraßenklasse IV ermöglicht den Verkehr der so genannten Europaschiffe mit einer Länge von 80-85 Metern und einer Ladekapazität von 1.000 bis 1.500 Tonnen. Materna strebt in Zukunft ein Transportvolumen von 50 Millionen Tonnen jährlich an. Zum Vergleich: Derzeit wid auf der Oder so gut wie nichts mehr tranportiert. Zwischen dem oberschlesischen Kohlerevier und Stettin, so lautet der Spin der neuen Regierung in Warschau, liegen 700 Kilometer ungenutzte Wasserautobahn.

Ganz billig wird es aber nicht sein, diese Autobahn fahrtüchtig zu machen. Alleine für die Ertüchtigung der Oder müssten laut Materna etwa 20 Milliarden Złoty, das sind rund fünf Milliarden Euro ausgegeben werden. Doch der Vizeminister des neuen Ressorts hat noch weitergehende Pläne. Er will die schlesische Oder bis ins tschechische Ostrau ausbauen und auch den alten Plan eines Oder-Donau-Kanals in Angriff nehmen. Damit soll das Schwarze Meer mit der Ostsee verbunden werden. Das es die neue Regierung mit der Umwelt nicht so genau nimmt, zeigte sich im Januar. In den Wäldern von Białowieża, dem letzten Urwald Europas, wurde damit begonnen, 400.000 Bäume zu fällen.

Nach dem Hochwasser 1997

Dreißig Kilometer von der niederschlesischen Metropole Breslau entfernt, liegt die kleine Ortschaft Maltsch, auf Polnisch Malczyce. Dreitausend Einwohner leben in Maltsch, das seine große Zeit längst hinter sich hat. Als die Oder tatsächlich eine Wasserstraße war, wurde im Hafen Kohle verladen. Der Maltscher Hafen machte mehr Umsatz als der in Breslau. Das war vor mehr als siebzig Jahren.

Heute steht Maltsch für eine Investition, die in Polen ebenso Kopfschütteln hervorruft wie der Bau des Flughafens BER in Deutschland. 300 Millionen Złoty, 75 Millionen Euro, sollte die neue Oderschleuse kosten, als 1997 mit den Bauarbeiten begonnen wurde. Nach dem Jahrhunderthochwasser an der Oder, das alleine in Polen 50 Menschenleben forderte, sollte mit dem Bau neuer Staustufen das Wasser reguliert – und die Oder wieder für die Binnenschifffahrt hergerichtet werden. Der Neubau der Maltscher Schleuse war neben der in Dyhernfurth (Brzeg Dolny) der erste an der Oder seit dem Ende des Krieges. Zuvor waren zwischen dem Gleiwitzer Kanal, der Oberschlesien mit der Oder verbindet, und Breslau 26 Staustufen errichtet worden. Unterhalb von Breslau aber war die Oder bis Hohensaaten, wo der Oder-Havel-Kanal in den Fluss mündet, ein frei fließender Strom geblieben.

Die Maltscher Schleuse ist bis heute nicht in Betrieb. Inzwischen sind die Kosten von 300 Millionen Złoty auf eine Milliarde gestiegen, ein Ende des Baus ist nicht in Sicht. Dennoch bringt der Warschauer Vizeminister für Binnenschifffahrt nun den Bau weiterer Staustufen ins Spiel. Bis zu zwanzig neuer Schleusen sollen in Zukunft entstehen, sagte Materna im Januar dem Sender Radio Zielona Góra. Finanziert werden sollen sie in Public-Private-Partnership-Projekten.

Schon einmal hatte die Regierung in Warschau große Pläne für die Oder vorgelegt, das war nach dem Jahrhunderthochwasser von 1997. Doch beim so genannten Programm für die Oder 2006 setzte Warschau vor allem auf Geld aus Brüssel. Das ist nun anders. "Im Rahmen des Weltbankprojekts Odra-Vistula Flood Management Project stehen Polen bis zum Jahr 2023 1,202 Milliarden Euro zur Verfügung", sagt Sascha Maier. Der Naturschützer engagiert sich unter anderem beim Verein der Freunde des Deutsch-Polnischen Europa-Nationalparks Unteres Odertal und war auch dabei, als die polnische Delegation im Dezember ihre Pläne für den Ausbau des Zwischenoderlandes vorgestellt hatte. "Der geplante Ausbau der Oder bekommt damit eine neue Dimension", so Sascha Maier.

Wo bleibt der Widerstand?

Nach dem Jahrhunderthochwasser von 1997 haben sich deutsche und polnische Naturschützer zusammengeschlossen und ein Bündnis mit dem Namen "Zeit für die Oder" gegründet. Es war ein grenzüberschreitendes Bündnis gegen die geplante Zerstörung von Auwäldern und für die Ausweisung neuer Schutzgebiete. Solche Bündnisse gibt es heute nicht mehr. Stattdessen haben sich rechts und links der Oder die Befürworter eines Ausbaus zusammengeschlossen.

Fast unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit wurde bereits am "7. April 2015 von Warschau und Berlin das "Abkommen über die gemeinsame Verbesserung der Situation an den Wasserstraßen im deutsch-polnischen Grenzgebiet" unterzeichnet. Verhandlungsführer auf deutscher Seite war der Brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), der auch Polenbeauftragter der Bundesregierung ist.

Die Ziele des Abkommens lesen sich auf den ersten Blick vernünftig. Es geht um die Gewährleistung eines schnelleren Wasserabflusses bei Hochwasser sowie den Einsatz von Eisbrechern an der Grenzoder. Woidke selbst hatte sich dafür eingesetzt, dass Küstenmotorschiffe zwischen der Ostsee und dem Hafen Schwedt verkehren können. Damit soll der teure Umschlag der Waren aus den Schwedter Papierfabriken im Stettiner Hafen entfallen.

Doch es ist eine Zahl, die Umweltschützer wie Sascha Maier aufhorchen lassen. Im deutsch-polnischen Abkommen wird nämlich festgehalten, dass die Oder unterhalb der Warthemündung an neun von zehn Tagen jährlich eine Tiefe von 1,80 Meter aufweisen soll. Oberhalb der Warthemündung soll diese Mindesttiefe an acht von zehn Tagen gewährleistet sein.

Ob das realistisch ist, wird sich zeigen. Im Sommer, kurz nachdem das Abkommen in trockenen Tüchern war, fiel der Wasserstand der Oder auf ein Rekordtief. Radio Szczecin berichtete am 12. August von einem dramatischen Fall des Wasserstandes. In Küstrin (Kostrzyn) betrug er nur noch 63 Zentimeter. Im nahen Gozdowice führte der Fluss 80 Zentimeter, zu wenig für die Fähre "Ohne Grenzen", die hier zum brandenburgischen Güstebiese verkehrt.

Wie die Mindesttiefe von 1,80 Metern realisiert werden soll, steht nicht im Abkommen, es wird jedoch auf ein Gutachten zur Stromregelegung verwiesen. "Demnach soll die Zieltiefe nicht nur über die Fahrrinnenbreite, sondern die gesamte Gewässersohle durch Modernisierung und teilweiser Erhöhung konventioneller Buhnen hergestellt werden", erklärt Sascha Maier. Er fürchtet, dass demnächst Fakten geschaffen werden, ohne zuvor die Umweltverträglichkeit zu prüfen.

Pragmatismus in Stettin

Es ist kalt an diesem Februartag, von der Oder weht ein frischer Wind hinauf in die Stettiner Innenstadt. In einem der Altbauten in der Starszyński-Straße nahe der berühmten Hakenterrassen hat Dorota Janicka ihr Büro. Janicka ist die Chefin der Landschaftsschutzparks in der Woiwodschaft Westpommern, und als solche ist sie auch für das Zwischenoderland zuständig. Ob die Zukunft der Oder die einer Wasserautobahn ist, will sie nicht bewerten, das fällt nicht in ihre Zuständigkeit. Um die Zukunft des Zwischenoderlandes aber macht sie sich keine Sorgen. "Eine landwirtschaftliche Nutzung des Zwischenoderlandes ist nicht geplant", versichert Janicka. "Es geht lediglich darum, die alten Anlagen wieder in Ordnung zu bringen."

Im Gegensatz zu Umweltschützern wie Sascha Maier überwiegen bei Janicka nicht die Bedenken, sondern die Hoffnungen. Denn von den knapp zwanzig Millionen Euro, die zwischen Westoder und Ostoder verbaut werden sollen, könnte auch ein Teil für den Tourismus abfallen, glaubt die Chefin der Landschaftsschutzparks. "Wir haben bislang viel zu wenig ausgewiesene Tourismusrouten im Zwischenoderland", sagt Janicka und überreicht zum Beweis eine Karte des Gebiets. "Auch die Infrastruktur für Paddler muss verbessert werden."

Janicka verweist auf die breiten Radwege auf der deutschen Seite der Oder. "Ganz so schnell wird das bei uns nicht gehen, aber das ist das Ziel", sagt sie. Naturschutz ist bei Janicka keine Sache um ihrer selbst willen, sondern immer auch verbunden mit touristischer Nutzung. Und da fehlt es dem Amazonasgleichen Überflutungsgebiet zwischen Westoder und Ostoder tatsächlich. Außer auf der Straße von brandenburgischen Mescherin ins polnische Gryfino ist das Zwischenoderland kaum zugänglich.

Grenzüberschreitender Nationalpark

Stettin will also profitieren vom Zwischenoderland und dem Weltbankgeld. Auch deshalb widerspricht Janicka einem Vorschlag des Westpommerschen Vizemarschalls Jarosław Rzepa. Der hatte vorgeschlagen, aus dem Überflutungsgebiet wie auf der deutschen Seite einen Nationalpark zu machen. Janicka dagegen meint, dass die Umweltvorschriften in den Natura 2000 und FFH-Gebieten jetzt schon streng genug seien. Ihr wichtigstes Argument aber ist ein anderes. "Für einen Nationalpark ist die Regierung in Warschau zuständig", sagt sie. Stettin aber will seine Oder selber verwalten.

Paweł Pawlaczyk findet die Idee mit dem Nationalpark gut. Seit Jahren arbeitet gelernte Förster im Vorstand des polnischen Naturschutzclubs – und ärgert sich, dass das Zwischenoderland einen weitaus geringeren Schutzstatus hat als der deutsche Nationalpark. "Wir haben es hier mit einer Wildnis zu tun, die ihresgleichen sucht", sagt Pawlaczyk. "Alle Voraussetzungen, das Zwischenoderland zu einem Nationalpark zu machen, sind gegeben."

Das Weltbankprojekt hält der Naturschützer für verheerend. Und für unglaubwürdig. "Wenn es in Stettin eine Hochwassergefahr gibt, kommt sie wegen der Nordwinde vom Stettiner Haff und nicht von der Oder", sagt er. Dieses Argument sei deshalb vorgeschoben. Aber auch die Ausweisung neuer Touristenrouten, die Dorota Janicka gerne mit den Weltbankmitteln finanzieren würde, hält er für vorgeschoben. "Hier geht es darum, den Zustand aus der Zeit vor dem Krieg wiederherzustellen", sagt Pawlaczyk, "Was wir brauchen ist aber keine regulierte Natur, sondern Wildnis."

Pawlaczyk hofft deshalb sehr auf die deutschen Umweltschützer. Und, dass es vielleicht doch noch gelingt, an der Oder endlich einen grenzüberschreitenden, europäischen Nationalpark zu gründen.


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