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DRUCKVERSION "Ein multikultureller Strom"

Der Autor Uwe Rada über die Memel, die er in seinem Buch als europäischen Fluss beschreibt (Interview Neue Westfälische Zeitung vom 27. Dezember 2010)

Interview von STEFAN BRAMS

Die Memel ist ein Grenzfluss. Drei Staaten durchfließt der 937 Kilometer lange Strom auf seinem Weg von der weißrussischen Quelle in der Nähe von Minsk bis hin zur Mündung ins Kurische Haff. In Deutschland wird der Fluss vor allem über die erste Strophe des Deutschlandlieds und als einstiger Fluss Ostpreußens wahrgenommen. Uwe Rada, der dem Lauf der Memel gefolgt ist, sieht in ihr vor allem einen europäischen Strom. Stefan Brams sprach mit ihm über die Memel und sein Buch über diesen magischen Fluss.

Herr Rada, Sie haben ein Buch über die Oder vorgelegt und nun eines über die Memel. Was fasziniert Sie an den Flüssen Osteuropas?

Mich fasziniert, dass es frei fließende, nicht kanalisierte Flüsse sind. Aber noch wichtiger ist für mich, dass es europäische Flüsse sind, die eine multikulturelle Geschichte erzählen und nicht allein die der Nationalstaaten, durch die sie fließen. Im Grunde sind und waren diese Flüsse immer Spiegel der Vielvölkerregion Osteuropa. Diese europäische Dimension interessiert mich.

Warum ausgerechnet die Memel, es gibt ja durchaus größere Ströme in Osteuropa?

Die Oder hat einen rasanten Imagewandel erlebt. Weg von einem Grenzfluss, der teilt, hin zu einem Fluss, den Polen und Deutsche nach dem Wegfall der Grenze nun als gemeinsamen Geschichtsraum angenommen haben. An der Memel erleben wir das Gegenteil. Nach dem Beitritt von Polen und Litauen zur EU im Jahr 2004 ist die Memel für Russen und Weißrussen wieder zu einem Grenzfluss geworden. Ich wollte untersuchen, ob die Memel Menschen und Regionen in Zukunft wird verbinden können – wie es an der Oder geschehen ist.

Sie sind die Memel entlang gereist. Wie fällt Ihr Befund aus?

Es gibt zwar mittlerweile einige grenzüberschreitende Aktivitäten, aber die beiden Außengrenzen der EU – zu Weißrussland und zum Kaliningrader Gebiet – sind harte Grenzen, da dürfen wir uns nichts vormachen. Insofern erleben vor allem diese Menschen den Fluss als Grenzfluss, der trennt und weniger verbindet. Doch in Weißrussland ist die Memel auch zu einer Metapher geworden. Fließt der Fluss doch gen Westen und mündet in die Ostsee. Deshalb verbinden viele mit der Memel eine europäische Perspektive, auf die sie so sehr hoffen.

Was hat Sie bei Ihren Erkundungen vor Ort am meisten überrascht?

Dass es neben den nationalen sehr viele grenzüberschreitende Erinnerungsorte gibt. Ein Beispiel ist Königin Luise von Preußen. Ihrer wird derzeit in Deutschland gedacht, aber eben auch in Litauen und Russland. Und in Sowjetsk, dem früheren Tilsit, heißt die Brücke über die Memel nach Litauen seit dem Jahr 2007 wieder wie vor dem Zweiten Weltkrieg Königin-Luise-Brücke. Die deutsche Geschichte ist hier kein Tabu mehr. Ich sehe in diesem Beispiel und zahlreichen anderen Ansätze für eine Europäisierung der Erinnerung.

Wie wird die Memel von Deutschland aus wahrgenommen?

Sie wird hierzulande eher wenig wahrgenommen, es sei denn in den Milieus der Vertriebenen aus Ostpreußen, wo sie als nationaler Mythos lebendig ist. Und natürlich durch die erste Strophe des Deutschlandliedes. Doch die Memel taugt nicht zum nationalen Mythos. Nur ein kleiner Abschnitt des 937 Kilometer langen Stromes hieß früher Memel. Selbst die Deutschen, die dort lebten, nannten den Ober- und Mittellauf des Stromes bei seinem slawischen Namen Njemen. Und selbst im früheren Ostpreußen floss die Memel ja durch eine von Deutschen und Litauern geprägte Grenzlandschaft. Die Memel ist also mitnichten der nationale Strom der Deutschen gewesen, sondern war schon immer ein multikultureller Fluss, ein europäischer Strom eben.

Und diese Sicht hat sich auch in Deutschland durchgesetzt?

Das glaube ich nicht. Damit sich das aber ändert, habe ich dieses Buch geschrieben.

Hatten Sie als Journalist der linken taz keine Angst als deutschtümelnd wahrgenommen zu werden, als Sie sich dazu entschlossen, über die Memel zu schreiben?

Nein. Ich finde es eher spannend, Erwartungshaltungen, die mit bestimmten Themen verbunden sind, zu unterlaufen. Und auch mein Buch überrascht, denn es zeigt einen ganz anderen Strom als den, den viele vermeintlich zu kennen glauben.

Kann sich aus dieser Grenzregion an der Peripherie Europas wirklich ein neues Zentrum entwickeln, wie sie behaupten. Sind Sie da nicht zu optimistisch?

Das ist sicherlich eine optimistische Sicht, aber welche Perspektive sollen Menschen an der Peripherie denn haben, wenn nicht die, dass aus ihren Regionen irgendwann mehr wird als ein randständiges Gebiet an der Grenze? Ihnen bleibt doch nichts anderes übrig, als gemeinsam aus dieser schönen Landschaft mit sanftem Tourismus etwas zu machen und die Grenzlage als Alleinstellungsmerkmal zu nutzen und für sich gemeinsam zu werben. An der Oder ist das ja auch gelungen. warum sollte das an der Memel nicht klappen? Die Ansätze sind ja bereits da.

Gibt es in den drei Ländern, die die Memel durchfließt, vergleichbare Bücher wie Ihres, die die Memel als europäischen Strom betrachten?

Nein, bisher nicht. Aber dank des Goethe-Instituts in Minsk wird es eine weißrussische Ausgabe meines Buches geben. Das Buch wird im Februar 2011 auf der Buchmesse in Minsk vorgestellt.

Werden sie noch einen osteuropäischen Fluss portraitieren?

Ich werde meine Trilogie mit der Elbe abschließen. Das Buch erscheint 2013.

Warum die Elbe?

Die Elbe ist ein deutsch-tschechischer Fluss, wird aber kaum so wahrgenommen. Das möchte ich ändern. Und für mich persönlich schließt sich mit der Elbe auch ein biografischer Kreislauf, da meine Familie väterlicherseits von der tschechischen Elbe stammt. In Tschechien heißt die Elbe übrigens Labe.

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