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Das Wasser in der Kulturlandschaft Brandenburgs

von UWE RADA

Kein Geringerer als Theodor Fontane hat dem Wasser eine besondere Kraft bei der Gestaltung Brandenburgs beigemessen. In seinen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" hat Fontane
das Land vorwiegend nach seinen Wasserläufen gegliedert: Oderland, Havelland, Spreeland. Namentlich das Letztere geht sogar auf seine eigene Feder zurück. Um dem drittgrößten der brandenburgischen Flüsse zu seinem Recht zu verhelfen (lässt man die Elbe einmal links liegen), erfand ihm der Dichter kurzerhand eine Kultur- und Geschichtslandschaft – das Spreeland. Neben den drei Flüssen darf sich in den "Wanderungen" allenfalls die Grafschaft Ruppin behaupten. Sie ist zwar keinem Fluss zuzuordnen, aber immerhin: In Neuruppin wurde der Dichter 1819 geboren. Und Gewässer gibt es dort auch – den Ruppiner und vor allem den Stechlinsee, dem Fontane seinen letzten Roman widmete.

Auch Fontanes Wiedergänger im 20. Jahrhundert, Günter de Bruyn, will vom Wasser als Ordnungselement der Brandenburger Kulturlandschaft nicht lassen. In seiner poetischen Vermessung "Mein Brandenburg" spielen wiederum die drei Flüsse Spree, Oder und Havel eine Hauptrolle. Anders als Fontane hat de Bruyn aber nicht nur die "Erfindung" der Mark als malerische und romantische Landschaft im Blick, sondern auch deren Bedrohung. Insbesondere dem Spreewald, jener von Menschen geschaffenen Wasserlandschaft mit ihren Blockhäusern, Fließen und rudernden Postboten, wurde durch den Abbau der Braunkohle im 20. Jahrhundert mächtig zugesetzt. Die "vom Menschen gezähmte, benutzte, aber nicht zerstörte Natur", warnt Günter de Bruyn deshalb, drohe aus dem Gleichgewicht zu geraten. Was de Bruyn 1993, da er sein Porträt der Kultur und der Geschichte Brandenburgs schrieb, noch nicht absehen konnte: Aus der Bergbau- ist inzwischen größtenteils eine Bergbaufolgelandschaft geworden. Aber auch in ihr spielt das Wasser eine besondere Rolle. Inmitten der größten Landschaftsbaustelle Europas soll mithilfe der Internationalen Bauausstellung "Fürst-Pückler-Land" in der Lausitz ein neues, diesmal von Menschenhand geschaffenes Seenland entstehen.

Wasser gehört also nicht nur zum natürlichen Erbe Brandenburgs, das mit seinen 3.000 Seen und 33.000 Flusskilometern zu den wasserreichsten Regionen Deutschlands zählt. Wasser soll als alte und neue Kulturlandschaft auch Teil seiner Zukunft sein. Dass Brandenburg heute das Land der Seen, Flüsse und Wälder ist, hat es den letzten Eiszeiten in Nord- und Mitteleuropa, der Saale- und der Weichseleiszeit, zu verdanken. Noch vor 30.000 Jahren reichten die skandinavischen Inlandseismassen bis in die Lausitz. Der Rückzug der Gletscher vor 15.000 Jahren schuf die Landschaft, die wir heute kennen. Es entstanden die Endmoränen, in denen das Geröll des schmelzenden Eises zurückblieb. Der Lausitzer Endwall und der Fläming im Süden sowie das uckermärkische und Ruppiner Höhenland im Norden bilden bis heute die natürlichen Begrenzungen weiter Teile der Mark.

Zwischen den Endmoränen liegen die drei Urstromtäler der Norddeutschen Tiefebene, das Glogau-Baruther Urstromtal im Süden, das Warschau-Berliner Urstromtal in der Mitte und das Thorn-Eberswalder Urstromtal im Norden. Alle drei verliefen in Ost-West-Richtung und entwässerten die schmelzenden Gletscherwasser über die Ur-Elbe in die Nordsee. Zwischen Endmoränen und Urstromtälern wechselten sich die flachen und kuppigen Grundmoränen mit den Sanderflächen ab, die aus Sand, Kies und Geröll bestanden.

Die Seen und Flüsse, die Fontane bei seinen Wanderungen vor Augen hatte und seitdem (neben den Wäldern) unser Bild von der Mark bestimmen, sind wie die Moore und anderen Feuchtgebiete in den Urstromtälern und kleineren Schmelzwasserrinnen der postglazialen Zeit entstanden. Sie bildeten neben den trockenen Hochflächen die Grundlage für die Vielfalt der märkischen Landschaft. Der Sand, der dem Land auch den Spottnamen "Streusandbüchse des Heiligen Römischen Reichs" einbrachte, entstand aus den Verwehungen des nacheiszeitlichen Geschiebelehms.

Wasser und Sand, nass und trocken – das sind also die Extreme der Brandenburger Kulturlandschaft. Ein Spannungsfeld, das an Spannung mit dem Klimawandel noch zunehmen wird, wie Manfred Kriener in seinem Beitrag in diesem Band erläutert. Mehr noch als bisher wird sich die Mark auf Trockenperioden, aber auch Starkregen und Hochwasser einstellen müssen. Im Band "Oderland" der "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" beschreibt Theodor Fontane nicht nur die Oder als Fluss der Flößer, Binnenschiffer und Touristen. Ausführlich widmet er sich auch dem Oderbruch – und zwar vor seiner großen "Verwallung". Namentlich wendische Fischer lebten in diesem Sumpfgebiet, das man, wenn überhaupt, mit dem heutigen Spreewald vergleichen kann. Fontanes Zeitrechnung – vor und nach der "Verwallung" – ist zugleich ein Hinweis auf eine neue Ära, die im Wasserland Brandenburg mit Friedrich II. Begonnen hat. Es ist der Beginn der Trockenlegungen, Begradigungen, Meliorierungen.

Mit der Trockenlegung des Oderbruchs betrat Brandenburg im wahrsten Sinne des Wortes Neuland. Von 1746 bis 1753 wurde der Oder ein neues Bett gegraben. Der Lauf des Flusses wurde um 25 Kilometer verkürzt. Schneller ging die Oder nun – und geradeaus. Vor allem aber war die Sumpflandschaft durch zahllose Kanäle und Gräben trockengelegt und mithilfe holländischer Deichbaumeister eingedeicht worden. Auf das Neuland mit seiner Fläche von 130.000 Morgen wurden, wie es Theodor Fontane nennt, 1.300 Kolonistenfamilien "angesetzt". Sie waren von Friedrich aus aller Herren Länder an die Oder geholt worden. Es kamen Pfälzer, Schwaben, Polen, Franken, Westfalen, Vogtländer, Mecklenburger, Österreicher und Böhmen in die Kolonistendörfer. Die neuen Bewohner des Oderbruchs mussten ihr Kommen nicht bereuen, wie Fontane weiß: "Man streute aus und war der Ernte gewiss. Es wuchs ihnen zu. Alles wurde reich über Nacht."

Vielleicht ist das trockengelegte Oderbruch die eindrucksvollste Kulturlandschaft, die in Brandenburg hervorgebracht wurde. Ackerland wurde geschaffen und Platz für Menschen, die aus verschiedenen Kulturen kamen und fortan friedlich zusammenlebten. Doch die Trockenlegung und Kolonisierung des Oderbruchs ist auch ein Projekt der Unterwerfung, die Umwandlung einer Natur- in eine Kulturlandschaft.Was im 18. Jahrhundert mit der großen "Verwallung" begann, setzt sich bis in die Gegenwart fort. "Über 80 Prozent der heutigen Fließgewässer in Brandenburg sind künstlich und dienen der Feuchtgebietsentwässerung", schreibt Jörg Götting-Frosinski in seinem Beitrag. Mit den Feuchtgebieten, so Götting-Frosinski, gehen aber auch die natürlichen Wasserspeicher verloren. Im Vergleich zum Jahre 1700, der Zeit vor dem Beginn der Trockenlegungen, können 80 Prozent der Moore und Flussauen das Wasser nicht mehr in der Landschaft halten. Brandenburg ist also nicht nur das gewässerreichste Bundesland Deutschlands. Es ist zugleich auch das wasserärmste. Die Mark ist, was das Wasser betrifft, tatsächlich ein Land der Extreme.

Nirgendwo wird dies deutlicher als an der Oder, der Friedrich II. im 18. Jahrhundert ein neues Bett verordnet hatte. Auch nach der großen "Verwallung" ließ sich der Fluss, den schon der polnische Historiker Jan Dlugosz im 15. Jahrhundert als "räuberisch" bezeichnete, seine Beute nicht nehmen. So kämpften an der Oder Mensch und Natur einen Kampf, der bis in die Gegenwart reicht. Auf jedes Hochwasser folgten neue Deiche, die den Fluss noch schneller und noch unberechenbarer machten, weil sie ihm nahmen, was ein Fluss braucht – Raum zu leben. Im Sommer 1997 erreichte dieser Kampf zwischen Mensch und Fluss seinen vorläufigen Höhepunkt. Aber auch das "Jahrhunderthochwasser", wie die Oderflut bald genannt wurde, war kein singuläres Ereignis. Schon fünf Jahre später gab es ein neues "Jahrhunderthochwasser" – diesmal an der Elbe.

Dennoch markiert die Oderflut von 1997 eine Zäsur im Umgang mit dem Wasser in Brandenburg. Die Überschwemmung der Ziltendorfer Niederung, der Kampf um die Deiche in Reitwein oder Hohenwutzen, aber auch die zahlreichen Toten am tschechischen und polnischen Oderlauf haben eine neue Diskussion über den Umgang des Menschen mit seinen Flüssen hervorgebracht. Soll man weiterhin dem technischen Hochwasserschutz vertrauen und die Deiche künftig noch höher bauen? Oder ist es an der Zeit, den Flüssen mehr Raum zu lassen? Soll man die Flüsse den Schiffen anpassen oder die Schiffe den Flüssen? Darüber streiten Umweltschützer und Wasserbauer, Tourismusverbände und Politiker bis heute.

Wasser ist also nicht nur ein Wohlfühlthema. Der Umgang mit ihm berührt auch Grundsätzliches. Wie will man das von Günter de Bruyn angesprochene Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur bewahren? Der Versuch, die einst abgeschnittenen Altarme der "Krummen Spree" wieder an den neuen Flusslauf anzuschließen, den Nick Reimer beschreibt, und die Beispiele, die Jörg Götting-Frosinski für den Wasserrückhalt in der Landschaft nennt, zeigen, dass die Fragen angekommen sind.

In "seinem" Brandenburg hat Günter de Bruyn nicht nur der Spree, der Havel und dem Oderbruch eine Liebeserklärung geschrieben. Verfasst hat er auch das Porträt eines Dichters, der in Vergessenheit geraten ist, obwohl er der deutschen wie auch der brandenburgischen Literaturgeschichte ein Vermächtnis hinterlassen hat: Friedrich de la Motte Fouqué. Geboren in Brandenburg an der Havel, veröffentlichte der "Romantiker aus dem Havelland", wie ihn de Bruyn nennt, 1811 seinen Roman "Undine". Fouqués Text greift – ganz in der Mode der Zeit – auf den Stoff der "Elementargeister" zurück, denen schon Paracelsus zur Popularität verholfen hat. Vor allem die "Wasserfrauen" haben seit Ende des 18. Jahrhunderts Einzug in die deutsche Literatur gehalten, schreibt Hans-Jürgen Rehfeld in seinem Beitrag. Dabei geht es im Grunde immer um das eine: Wasserfrauen sind unsterblich, aber ohne Seele. Um beseelt zu werden, müssen sie die Liebe eines Menschenmannes gewinnen. Geben sie diesem aber ihr Geheimnis preis, ist es um die Verbindung von Mensch und Wasserfrau geschehen. In Fouqués "Undine" – sie ist die Tochter eines mächtigen Wasserfürsten, die auf einer von Flussläufen umspülten Landzunge auf ihren Herzensritter trifft – zeigt sich deshalb das ›Geschlechterdilemma seiner Epoche‹, meint Hans-Jürgen Rehfeld. Der Widerspruch zwischen Sinnlichkeit und bürgerlich-christlicher Ehe sei nicht lebbar. Am Ende geht Undine wieder dorthin, wo sie herkam – ins Wasser.

Kein Mangel an Wasser herrscht, so sieht es Christoph Tannert, auch in der bildenden Kunst. Ganz im Gegenteil. Von allen Elementen – Wasser, Feuer, Erde, Luft –, die die Maler von jeher beschäftigt haben, ist das Wasser das mit der größten Inspirationskraft. Gleiches gilt für die Musik, wie Babette Kaiserkern nachweist. In ihren Werken nähern sich Komponisten, Maler und Schriftsteller bis heute dem so faszinierenden wie bedrohlichen Wechselspiel zwischen Mensch und Natur, und kein Gegenstand scheint diese Ambivalenz besser zum künstlerischen Ausdruck zu bringen als das Wasser.Wasser ist also nicht nur natürliches Erbe und Teil der Kulturlandschaft. Es ist auch Kulturgut.
Kulturgut ist Wasser auch in den Städten des Landes. Die Nähe zum Wasser war für viele Stadtgründungen im Mittelalter der entscheidende Standortfaktor. Das gilt auch für die Wiege des Landes – Brandenburg an der Havel. Auf der Dominsel zwischen den Havelarmen hatten schon die slawischen Heveller ihre bedeutendste Burg errichtet. 948 gründete der deutsche Kaiser Otto I. auf der Dominsel das Bistum Brandenburg, neben Havelberg das erste Bistum östlich der Elbe. Nach langem Hin und Her fiel die Dominsel schließlich 1150 an den Markgrafen Albrecht den Bären, der 1157 die Markgrafschaft Brandenburg gründete. Wenn in diesem Jahr also 850 Jahre Brandenburg gefeiert werden, zeigt sich: Die Mark ist auch landesgeschichtlich "nah am Wasser gebaut".

Doch Wasser war nicht nur bei den Stadtgründungen ein gewichtiges Argument, sondern auch für die Industrialisierung. Auch da ist Brandenburg an der Havel ein gutes Beispiel, wie Uwe Müller in seinem Beitrag zeigt. Wegen seiner Wasserlagen konnten in Brandenburg/Havel ab 1870 die Brennabor-Werke entstehen, es folgten eine Schiffswerft und schließlich 1913 das Stahl- und Walzwerk. "Bauen und Siedeln am Wasser", meint dazu Thies Schröder in seinem Beitrag, "ist ein menschheitsgeschichtliches Prinzip." Allerdings zeigen die meisten Beispiele, "dass die Beziehung zum Wasser in Brandenburg eher eine funktionale als eine ästhetische war".

Eine faszinierende Ausnahme von dieser Regel ist Potsdam. Schon früh hatte der Große Kurfürst die "Gartenfähigkeit" der Havelseen entdeckt. Dem Bau einer "inszenierten Landschaft", wie Michael Seiler die Schlösser und Gärten in Potsdam nennt, stand also nichts im Weg. Eine unerschöpfliche Quelle dabei war – natürlich – das Wasser. In Potsdam wurde das Wasser damit schon vor der Industrialisierung, was es in vielen anderen Städten des Landes unter den Vorzeichen des postindustriellen Zeitalters erst noch werden muss – ein ganz neues Thema des Städtebaus. Ob Brandenburg/ Havel oder Guben, Oranienburg oder Rathenow, Frankfurt (Oder) oder Cottbus – überall werden entlang der Wasserläufe neue, innerstädtische Grünzüge, Parks, Uferwege oder Promenaden angelegt. Das Erbe der "preußischen Gartenmonarchie" (Thies Schröder) steht nicht mehr nur in Potsdam auf der Agenda von Landschaftsplanern, Architekten und Städtebauern. Allerdings muss dieses Erbe auch gehegt und gepflegt werden, meint Schröder: In Zukunft müssten die Wasserlagen, mehr als bisher, "mit einer zukünftigen Baukultur des Landes verbunden werden". Zurück zu Theodor Fontane. Als Erfinder der malerischen Mark hatte er nur deshalb Erfolg, weil er die Schönheit der Natur aufs Trefflichste mit der Faszination einer Kultur- und Geschichtslandschaft zu verknüpfen wusste. Dabei schuf er, wie später auch Günter de Bruyn, ein Porträt des Landes, das bis heute gilt – eine Landschaft im ständigen Wandel.

Wo wäre dies gegenwärtig besser erlebbar als in der Lausitz? Zwischen Senftenberg und Cottbus, Großräschen und Spremberg wird derzeit ein neues Kapitel in der Geschichte des Landes aufgeschlagen. Der Jahrzehnte dauernden Periode der Trockenlegungen folgt eine Renaissance des Wassers – der Umbau einer Bergbau- in eine Seenlandschaft. 30 künstliche Seen, 14.000 Hektar Wasserfläche, Kanäle zwischen den Seen für Bootstouristen, Häuser am Wasser – all das ist schon heute greifbar. Mit der größten künstlichen Wasserlandschaft Europas soll der strukturarmen Lausitz jene Zukunft wiedergegeben werden, die ihr einst die Braunkohle brachte und dann wieder nahm. Schließlich gehört der Wassertourismus, wie Christian Härtel, Tina Veihelmann, Wolfgang Kil und Annett Gröschner zeigen, zu den großen Hoffnungen im Lande.

Brandenburg, das gewässerreichste und wasserärmste Land in Deutschland, ist also mehr als wir denken abhängig vom kühlen Nass. Gleichzeitig wird das Land der "Seen und Wälder" lernen müssen, auch Perioden der Trockenheit und der Dürre zu überwinden. Das wird nur gelingen, wenn wir dem Wasser jene Aufmerksamkeit schenken, die in einer "Streusandbüchse" geboten ist. Schließlich ist es mit dem Land im Großen nicht anders als mit einem Garten im Kleinen. Der muss – damit er seine Schönheit nicht verliert – nicht nur gehegt und gepflegt, er muss auch gegossen und gewässert werden.

Erschienen in: Fokus Wasser. Brandenburgs Kulturlandschaft im Wandel. Leipzig 2007

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