Uwe Rada themenflüsse"hier lebt man als edler wilder"

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DRUCKVERSION "Hier lebt man als edler Wilder"

Einst war Michael Seiler der Gartendirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten auf der Pfaueninsel. Auch nach seiner Pensionierung lebt er noch auf der Insel in der Havel. Hier begegnet der 67-Jährige auf Schritt und Tritt seinem großen Vorbild, dem Landschaftsarchitekten Peter Joseph Lenne

von UWE RADA

taz: Herr Seiler, Ihre Postanschrift lautet Berlin, Pfaueninsel.

Michael Seiler: Sie lautet Pfaueninsel, 14109 Berlin. Ohne Hausnummer.

Da freut sich der Postbote.

Der findet das schon. Es wohnen ja nur zehn Familien auf der Insel.

Sie leben nun schon seit 28 Jahren im Kastellanhaus auf der Pfaueninsel. So lange hat von den preußischen Königen keiner auf diesem Eiland gelebt.

Das stimmt. Die waren meistens auch nur im Sommer hier. Für Werktätige wie mich ist es ein Daueraufenthalt.

Wie kam es dazu, dass ein Gartendenkmalpfleger zum Insulaner wird?

Das habe ich meinem Lehrer Martin Sperlich zu verdanken, dem früheren Schlösserdirektor. Ich hatte seine Vorlesungen über Gartengeschichte besucht, und eines Tages hat er mich gefragt, ob ich nicht Leiter der Pfaueninsel werden wolle. Daraufhin habe ich mich beworben.

Sie waren dann als Enddreißiger ab 1979 der Inselgärtner.

Früher gab es auf der Insel immer zwei Leute: einen Kastellan und einen Hofgärtner. Weil sich beide auf der Pfaueninsel immer gestritten haben, wurde das dort in einer Person zusammengefasst. Seit 1810 steht im Hofkalender: Hofgärtner und Kastellan. So war ich anfangs nicht nur für den Garten zuständig, sondern auch für das Schloss und die Fähre.

Schloss, Kastellanhaus und Meierei wurden 1794 von Friedrich Wilhelm II. angelegt. Aber eigentlich ist die Geschichte der Pfaueninsel viel älter.

Im Grunde fing sie mit dem Großen Kurfürsten an. Der hat die Havel im 17. Jahrhundert als Wasserweg entdeckt und genutzt. Dazu gehörte auch die Pfaueninsel, die früher Kaninchenwerder hieß. Dort war für drei Jahre auch ein Alchimist namens Johannes Kunckel tätig.

Damals war etwas Unheimliches um den Kaninchenwerder. Mitunter stiegen schwarze Wolken und Rauch auf. Es hieß, der Alchimist versuche sich in der Herstellung von Gold und schwarzer Magie.

Was aber nicht der Fall war. Kunckel experimentierte mit Glas, Rubinglas, Perlen, die der Große Kurfürst exportieren wollte. Damit das niemand ausspioniert, wurde auf der Insel ein Geheimlaboratorium eingerichtet. Als der Große Kurfürst starb, fiel Kunckel allerdings in Ungnade und ging nach Schweden.

Die heutige Gestalt der Pfaueninsel verdanken wir aber nicht Forscherdrang und Gewinnstreben, sondern einer Sentimentalität. Es heißt, Friedrich Wilhelm II. habe mit seiner Geliebten Wilhelmine Encke diverse Schäferstündchen auf der Pfaueninsel verlebt.

Ob die Amouren wirklich auf der Insel stattgefunden haben, ist archivalisch nicht belegt. Tatsache ist, dass Friedrich Wilhelm II. für die modernen Künste und damit auch den Landschaftsgarten aufgeschlossen war. Schon als Kronprinz war er in Wörlitz gewesen. Als der Alte, sein Onkel Friedrich der Große, in Sanssouci noch auf dem Berg saß, zog es den Kronprinzen bereits an die Ufer des Heiligen Sees. Von da war es nicht weit zur Pfaueninsel.

Zum Inselleben gehören auch die Inselmythen.

Das ganze 18. Jahrhundert war voll davon. Die Welt war weitgehend entdeckt, mit Ausnahme der Archipele in der Südsee. Das war ein begeisterndes Thema.

Auch für den Preußenkönig?

Natürlich, er nannte die Pfaueninsel sein persönliches Tahiti. Das hatte damit zu tun, dass man wegwollte von der Etikette. Auf der Insel konnte man ohne Zwang wie ein "edler Wilder" in Einklang mit der Natur leben.

Also doch Amouren auf der Insel. Wilhelmine Encke, die Tochter eines Musikers, war schon mit 15 Jahren vom König schwanger.

Friedrich Wilhelm II. kommt in der Geschichtsschreibung immer schlecht weg, weil er kein energischer Herrscher war. Die polnischen Teilungen hat er eher widerwillig vollzogen. Auch von den Feldzügen hatte er die Nase voll, das geht aus seinen Briefen hervor. Auf der Pfaueninsel hat er dann seine Traumwelt, seine Fluchtwelt gefunden.

Wie ist das bei Ihnen: Ist Ihnen die Pfaueninsel auch eine Fluchtwelt?

Es war ein Glück für mich, auf der Insel leben zu dürfen. Das gibt einem eine gewisse Unabhängigkeit. Man bekommt keine Besuche von Leuten, die einem Reklame durch die Tür stecken. Man kann auch abends nicht von ungebetenem Besuch überrascht werden. Wenn ich dem Fährmann nicht Bescheid sage, bringt der keinen rüber. Ganz besonders aber schätze ich die Stille der Nächte und die Dunkelheit.

Wenn Sie nach Einbruch der Dunkelheit an Ihren Ausguck gehen, nehmen Sie dann eine Taschenlampe mit?

Die brauche ich gar nicht. Ich kenne jeden Weg und jeden Strauch.

Das klingt ganz, als ob Ihnen die Insel auch ein persönliches Tahiti ist.

Ja, ja. Auch wenn ich noch nie in Tahiti war.

Aber Sie sammeln Geschichten von anderen Inseln.

Vor allem von jenen Inseln, die auch als Garten gestaltet sind: die Insel Mainau zum Beispiel, Kythera oder die Isola Bella. Von denen nimmt die Pfaueninsel mit ihrem Wildheitsanspruch aber eine besondere Stellung ein. Über alldem aber steht natürlich das Thema Mensch und Insel.

Dazu gehören auch Robinson-Crusoe-Geschichten.

Auch Rousseau hat auf einer Insel Zuflucht gefunden. Bei solchen Geschichten werde ich hellhörig. Natürlich interessiert mich das Verhältnis Mensch und Insel. Ich wollte mir immer darüber Rechenschaft geben, ob das Inselleben meine Psyche verändert.

Und? Hat sie sich verändert?

Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es keine selbst gewählte Isolation ist. Man kann ja jederzeit von der Insel runter. Die Fähre fährt auch abends und nachts, es gibt den Bus in die Stadt. Ich bin nicht aus der Welt.

Aber Sie entscheiden schon selbst, wann Sie in die Welt gehen?

Das ist ein Vorteil, ja. Auch dass man sich anders organisiert. Wegen einer Schrippe oder einer Zeitung fährt man nicht aufs Festland. Und wenn man zurückkommt, ist die Insel wie ein Magnet. Spätestens, wenn ich mit der Fähre übersetze, spüre ich, was für eine ruhige, vertraute Welt ich dort finde.

Die Pfaueninsel war in der Vergangenheit nicht nur Experimentierfeld für Johannes Kunckel oder Zuflucht für preußische Könige. Sie wurde von den Nazis auch politisch missbraucht.

Gleich zweimal. Das erste Mal zu den Olympischen Spielen 1936. Damals wurde die Schlussveranstaltung auf der Pfaueninsel inszeniert. Die Insel war mit einer Pontonbrücke mit dem Festland verbunden. Das war grauenhaft. Ein Jahr später wiederholte sich das Ganze mit einer Kraft-durch-Freude-Inszenierung. Das war eine Vulgarisierung. So war die Insel nie gedacht gewesen.

Später waren die preußischen Schlösser und Gärten durch den Bau der Mauer und die deutsche Teilung in Mitleidenschaft gezogen. Die Pfaueninsel gehörte zu Berlin, der Neue Garten zu Potsdam.

Darunter habe ich sehr gelitten, obwohl wir mit den Kollegen in der ehemaligen DDR immer sehr gute Kontakte hatten. Wir haben uns besucht und ausgetauscht. Sie durften zwar nicht nach England, Frankreich und Italien. Sie konnten aber die Träume von England, Frankreich und Italien in ihren Gärten pflegen.

War es für Sie einfacher?

Nicht unbedingt. Westberlin war eine Insel, leider keine wie im ursprünglichen Sinne einer Insel. Die Archivalien über die Pfaueninsel zum Beispiel lagen in Merseburg. Wenn ich etwas einsehen wollte, musste ich dorthin fahren. Umso schöner war es, als plötzlich alles offen war.

Hat das Denken des Landschaftsarchitekten Peter Joseph Lenné die Gartenbauer und Denkmalpfleger in beiden deutschen Ländern geprägt?

Das ist so. Mit Blick auf den Blumengarten, der durch den Kollegen Eisbein im Park Babelsberg im Schatten der Mauer restauriert wurde, könnte man symbolisch sagen: Mit Gartenkunst hat man die Mauer verdrängt.

Nun waren Sie, nach Ihrer Zeit als Inselgärtner, von 1993 bis zu Ihrem Ruhestand vor zwei Jahren Gartendirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten - und damit ein leibhaftiger Nachfolger Lennés. Dabei sind Sie in Ihrem Metier eigentlich ein Quereinsteiger. Studiert haben Sie zunächst Vermessungstechnik.

Mich haben immer Pflanzen interessiert, schon von Kindheit an. Dass ich Geodäsie studiert habe, lag daran, dass das Botanikstudium zu lang und damit für meine Verhältnisse zu teuer war. Außerdem geben einem Pläne und Karten - bis zur Südsee - immer die Möglichkeit, die Welt zu erfassen und sich ein Bild davon zu machen. Mein eigentliches Steckenpferd ist aber die Beziehung von Weg und Mensch im Garten. Gehen, sehen und verstehen: Ich behaupte, dass der Mensch nur beim Gehen denken kann. Am besten kann er auf Wegen gehen, die in Gärten wie dem auf der Pfaueninsel angelegt sind. Und auf denen, die wir nach dem Fall der Mauer in den Grenzgebieten wiederhergestellt haben.

Hatten Sie nicht manchmal das Bedürfnis, die Wege des Meisters zu verlassen und abseits von Lenné zu gehen?

Nein. Natürlich hätte ich nun, wo ich pensioniert bin, manchmal Lust, etwas Eigenes zu verwirklichen. Aber was die Pflege des Erbes angeht, kann ich noch nicht einmal sagen, dass ich fertig bin. Selbst auf der Pfaueninsel, die ich - auf dem Bett liegend - zeichnen könnte, geht es mir so, dass ich bei einem bestimmten Licht oder in einer seltenen Stimmung Dinge sehe, die mir zuvor nie aufgefallen waren. Lenné hat ein so gewaltiges Werk hinterlassen, dass ich immerfort zu tun hatte, zu lernen.

Zu diesem gewaltigen Werk, das heute Teil des Unesco-Welterbes ist, gehört auch eine gewaltige Benutzerordnung. Der Besucher der Pfaueninsel darf nicht rauchen, nicht baden, nicht einmal Schlitten und Ski fahren. Hand aufs Herz: Haben Sie einmal gegen die Regeln verstoßen?

Nein, nicht einmal dann, wenn mich keiner gesehen hätte. Zum Baden ist es am jenseitigen Havelufer ohnehin schöner.

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