Uwe Rada themenstadtdas provisorium als zukunft

DRUCKVERSION Das Provisorium als Zukunft

Sie kommen und gehen wie ihre Bewohner, sind flexibel, mobil und preiswert. Unbemerkt von der Architekturdebatte zeigen sich die Containerstädte als neue Form einer Urbanität der Nomaden

Interview UWE RADA

Am besten sieht man Container City vom Kanzleramt. Wer von hier in Richtung Osten blickt, sieht zunächst ein weites Sandfeld, dahinter ein paar Bäume, schließlich Architektur pur. Wie eine Oase aus der Wüste ist die Containerstadt aus dem Nichts entstanden, ohne Bebauungsplan und Bürgerbeteiligung. Nun ist sie da, als wäre an ihrer Stelle nie etwas anderes gewesen, manchmal streng geordnet, manchmal wild durcheinander gewürfelt wie eine Wagenburg. Wer zuerst kommt, stellt als erster ab.

Über hundert Container stehen in dieser Stadt im Regierungsviertel. Hier werden die Bauarbeiten für die Bundestagsbauten koordiniert, hier treffen sich die polnischen Bauarbeiter vor ihren Mannschaftscontainern zur Rauchpause. Es ist eine rastlose Urbanität, die in Container City herrscht, ein ständiges Kommen und Gehen. Irgendwann wird die Containerstadt wieder verschwunden sein, so schnell, wie sie aus dem Nichts gekommen ist.

Berlin ist eine Stadt der Nomaden. Bis im Jahr 2015 wird die Bevölkerung zu einem Drittel ausgetauscht sein. Zu den neuen Nomaden gehören auch die polnischen Pendler. Wie viele von ihnen in Berlin arbeiten, kann keiner genau sagen. Aber die Ethnologen wissen bereits, dass es sich bei ihnen um eine neue Form der Migration handelt, um Transmigranten, die keine Heimat mehr haben, sondern nur noch Wohnorte und Arbeitsplätze. Wie die Global Players bewegen sich die Transmigranten in einem grenzüberschreitenden Raum, zwischen Berlin und Zielona Góra, zwischen ihrer Taubenzucht in Polen und ihrem Container in Berlin, vor dem sie nach Feierabend noch ein paar Biere trinken. Wenn die Nomaden die Kultur des neuen Kapitalismus verkörpern - flexibel, mobil, ortlos -, ist das Provisorium seine städtische Form. Die einen ziehen in schicke Appartements und Boardinghouses, die andern in den Container.

Doch der Container ist mehr als bloßer Schlafplatz oder provisorisches Büro. Er ist auch die Architektur der Zukunft, wie der Bauhistoriker Dieter Hoffmann-Axthelm meint. "Mit Fenstern versehen, ist der Behälter als Kiosk, Baubude, Notwohnung nutzbar. Gestapelt ergibt er Asylbewerberheime, Notunterkünfte, provisorische Bürogebäude. Bei fester Montage erhält man Schulen, Operationssäle, Werkstätten und Verkaufshallen." Der Container, meint Hoffmann-Axthelm, "ist Bau- und Denkform zugleich: materiell gewordenes Verfahren."

Wie in einem Brennglas spiegelt sich im Regierungsviertel die Geschichte einer Stadtentwicklung, an deren Ende das Provisorium steht: Vor der Containerstadt stehen ein paar Bauwagen, mit der schmalen Seite zur Straße, giebelständig wie in mittelalterlichen Städten. Bringen es die Bauwagen in ihrer Summe nie zu mehr als einem Dorf, sind die stapelbaren und kombinierbaren Container die Bausteine der neuen Stadt. Hinter dem Containerfeld an den Bundestagsbauten ist zum Beispiel ein modernes Bürozentrum in Containerbauweise entstanden, für die Bahn, die hier ihre Baulogistik untergebracht hat.

Bauwagen, Container, Containerstädte: Neben dieser Abfolge einer Urbanität des Provisoriums nehmen sich das Bundeskanzleramt, der Reichstag und die Bundestagsblöcke wie Dinosaurier aus einer Zeit aus, in der die europäische Stadt noch einen festen Platz und ihre Bewohner einen festen Begriff von der Zukunft hatten.

Im Film hat der Container längst seinen Platz: in Eoin Moores "Plus Minus Null" zum Beispiel oder Dorothee Wenners "Die Polen vom Potsdamer Platz". In der Architekturdebatte dagegen scheint es noch immer keine Provisorien zu geben. Dabei müsste man nur hinschauen. Ist die Fassadentextur der Containersiedlung auf der Baustelle des Holocaust-Mahnmals der des Hotels Adlon nicht sehr ähnlich?

Mögen Stadtplaner und Architekten die Containerstadt auch ignorieren, die Baumeister der Zukunft sitzen in den Verkaufsbüros der großen Containerhersteller. Bei ELO in Chemnitz zum Beispiel. Auf Spezialanfertigungen hat man sich hier spezialisiert, wie zugeschnitten auf die Wünsche der Kunden. Die Kunden, das sind unter anderem BMW und Rolls-Royce, die sich nicht mehr mit schwierigen Standortentscheidungen quälen wollen. Stattdessen setzen sie auf mobile Bürozentren aus Containerbauweise.

Fünf bis zehn Jahre lässt sich in diesen neuen Bürostädten arbeiten, mit allem, was man braucht: Konferenzsäle, Fitness, Unterkünfte. Danach wird Container City verlegt und an anderer Stelle wieder aufgebaut. Fünf bis zehn Jahre - das ist auch nicht viel weniger als bei den Wolkenkratzern in Shanghai oder Shenzen. In Chinas Süden, wo mehr als zwanzig Millionen Wanderarbeiter unterwegs sind, baut man Bürohochhäuser nur noch für 15 oder 20 Jahre. Auch im Städtebau hat der Produkt-Lebenszyklus neue Halbwertszeiten bekommen.

Könnte man vom Kanzleramt weiter nach Osten schauen, zum Beispiel über die Oder hinweg, hätte man ohnehin einen besseren Blick in die Zukunft. In Polen gehört die Architektur des Provisoriums längst zur Alltagskultur. Und künden nicht die Kioske und Basare davon, wie schnell aus dem Provisorium ein Dauerzustand werden kann?

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