Uwe Rada themenstadtautobahnkreuz kreuzberg

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DRUCKVERSION Autobahnkreuz Kreuzberg

Vor 50 Jahren wurde der erste Flächennutzungsplan für Westberlin erlassen. Mit Autobahnen und Großsiedlungen sollte der Sprung in die Moderne gewagt werden. Erst im Jahr 1984 gab es einen radikalen Paradigmenwechsel

von UWE RADA

Wer Anfang der achtziger Jahre nach Westberlin reiste, hat vielleicht diesen Stadtplan in der Hand gehabt: Über halb Kreuzberg war darauf eine Autobahn eingezeichnet. Besonders prägnant war das Autobahnkreuz am Oranienplatz. Von Süden nahm es den Verkehr auf, der als "Südtangente" durch die Hasenheide nach Kreuzberg geführt wurde. Nach Neukölln ging die "Osttangente" mit der Anschlussstelle Skalitzer Straße ab. Und sollte eines Tages die Mauer fallen, konnte Ostberlin ohne Weiteres ans autogerechte Westberlin angeschlossen werden. Zwar erklärte die Legende, dass die gestrichelte Autobahnlinie nur "in Planung" war. Doch beruhigend war das nicht.

Eine Autobahn mitten durch die dicht besiedelte Gründerzeitstadt? Der Stadtplan Anfang der achtziger Jahre war ein Relikt des ersten Flächennutzungsplans Berlins. Vor genau 50 Jahren, am 30. Juli 1965, wurde er festgelegt – und atmete tief den Geist der autogerechten Stadt. Dementsprechend wurden in dem Planwerk die geplanten Verkehrstrassen auch gesondert dargestellt. Die Autobahnen 106 und 102 in Kreuzberg gehörten dazu, aber auch "autobahnähnliche Straßen" und "Schnellverkehrsstraßen". Von Tempo-30-Zonen war vor 50 Jahren noch keine Rede.

Dass der erste Flächennutzungsplan für Westberlin vier Jahre nach dem Bau der Mauer aufgestellt wurde, war keine Überraschung. Seit August 1961 stellte sich auch die Frage, wie sich der Westteil der Stadt entwickeln sollte. Mit dem Flächennutzungsplan sollte eine planerische Grundlage dafür geschaffen werden, das alte Zentrum am Zoologischen Garten zur City-West aufzuwerten.

Ganz folgerichtig wurde ein Band vom südlichen Tiergartenrand bis zum Tauentzien und Kurfürstendamm als Kerngebiet ausgewiesen. Hier sollten sich Handel und Dienstleistungen konzentrieren – und der Breitscheidplatz zum Schaufenster des Westens werden.

Die verkehrliche Anbindung sollte eine gigantische Ost-West-Tangente bilden, die aus heutiger Sicht wie ein Tsunami durch die alte Stadtstruktur gefegt wäre. Abgehend vom Oranienplatz hätte die Trasse auf Höhe des heutigen Jüdischen Museums die Friedrichstraße gequert, wäre über das Gleisdreieck geführt worden und von dort über die Lützowstraße und die Urania bis zur Lietzenburger Straße. Viel von dem, was heute den Charme des westlichen Kreuzberg und von Schöneberg-Nord ausmacht, wäre bei dieser Planung, wäre sie realisiert worden, verschwunden.

Neue Großsiedlungen

Die Zunahme des Verkehrs, den die Planer in der Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen 1965 angenommen haben, ist aber nicht nur das Ergebnis einer zunehmenden Motorisierung, sondern auch hausgemacht. "Der Flächennutzungsplan von 1965 hat das Wohnen eher an den Stadtrand gedrängt", sagt Horst Sauer, der von Anfang der achtziger Jahre bis 2005 im Referat Flächennutzungsplanung des Senats gearbeitet hat. "Die Innenstadt sollte dagegen entkernt werden."

Wenn aber Wohnen und Arbeiten räumlich getrennt werden, wachsen auch die Verkehrsströme. So wurden – anders als in Kreuzberg – zahlreiche Verkehrsplanungen des Flächennutzungsplans in die Tat umgesetzt. Dazu gehörten etwa das Autobahnkreuz am Sachsendamm oder die Anschlussstelle Jakob-Kaiser-Platz, aber auch die Tunnelabschnitte an der Bundesallee.

Eine weitere Folge der neuen Prioritätensetzungen waren die großen Kahlschlagsanierungen. Die vom damaligen Regierenden Bürgermeister Willy Brandt (SPD) euphemistisch "Flächensanierung" genannten Stadtzerstörungen betrafen vor allem die vom Krieg verschonten, aber stark sanierungsbedürftigen Gründerzeitquartiere in Mauernähe wie die Brunnenstraße im Wedding oder das Kottbusser Tor in Kreuzberg. Die Wohnungen, die dort durch den flächenhaften Abriss verloren gingen, sollten am Stadtrand durch den Bau neuer Großsiedlungen kompensiert werden. So entstanden die Gropiusstadt, das Märkische Viertel und das Falkenhagener Feld.

Aber auch für den öffentlichen Nahverkehr gab der Plan von 1965 neue Wege vor. So wurde etwa die neue U9 um Ostberlin herumgebaut. Selbst das Kulturforum war Ergebnis des neuen Plans: Um die Philharmonie und die anderen Bauten gegen den Verkehr der geplanten Westtangente abzuschirmen, wurde die Staatsbibliothek neben die Trasse gesetzt – und blockiert heute den Durchgang vom Potsdamer Platz zum Kulturforum.

Neue Bescheidenheit

In seiner Amtszeit hat Horst Sauer eine Broschüre zusammengestellt, die die großen Planungen in Berlin bis zum Jahr 2002 zusammenfasst. Dort kommt auch der Flächennutzungsplan von 1984 zu seinem Recht – und der erzählt eine ganz andere Geschichte als sein Vorgänger aus dem Jahre 1965.

Zum Beispiel die, dass Westberlin nun nicht mehr für den Ostteil der Stadt mitplante. "Da Westberlin mit seiner Fläche auskommen muss, wird der sparsame Umgang mit der Fläche zur stadtplanerischen Maxime", heißt es in Sauers Broschüre. Zu dieser neuen Bescheidenheit gehörten unter anderem der Verzicht auf neue Bauprojekte auf der grünen Wiese sowie die Stärkung und Nachverdichtung der Innenstadt. Ausdruck dieses Umdenkens ist auch die Internationale Bauausstellung 1987 in der südlichen Friedrichstadt. Wohnen statt Autobahn lautete die neue Botschaft. Auf den Stadtplänen Ende der achtziger Jahre war das Autobahn-Kleeblatt in Kreuzberg nicht mehr eingezeichnet. Dafür gab es nun Tempo-30-Zonen.

Kein neuer Plan

Debatten über die Flächennutzungspläne sind also immer auch Diskussionen darüber gewesen, welches Verhältnis die Politik und ihre Planer zur Stadt haben. Seit den achtziger Jahren hat sich an diesem Verhältnis nicht mehr viel geändert, sagt Stadtplaner Sauer. So hat der nach der Wende aufgestellte Flächennutzungsplan von 1994 die Aussagen von 1984 lediglich auf die Gesamtstadt übertragen.

Dass es bis heute keinen neuen Plan gibt, erklärt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung damit, dass die Ziele des 1994er Plans nach wie vor aktuell seien. "In etwa 200 Flächennutzungsplan-Änderungen wurden in den vergangenen 20 Jahren die Darstellungen für circa vier Prozent des Stadtgebiets geändert", sagt Referatsleiter Michael Künzel, der inzwischen die Flächennutzungsplanung verantwortet. Darin seien die Umnutzungen für den Flughafen Tegel bereits enthalten. "96 Prozent des Stadtgebiets bleiben also stabil", freut sich Künzel. "Einen Bedarf, den Plan neu aufzustellen, kann ich daraus nicht erkennen."

Man kann es auch anders sagen: Noch nie in den vergangenen Jahren war die Stadt so im Reinen mit sich selbst wie seit dem Fall der Mauer – zumindest, was die großen und groben Planungsgziele betrifft.



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