Uwe Rada themenstadtdie grenzen von arkadien

DRUCKVERSION Die Grenzen von Arkadien

Am Glienicker Horn in Potsdam schottet sich ein luxuriöser Wohnsicherheitstrakt vom Rest der Welt ab

von UWE RADA

I. Annäherung an Arkadien

Wie weit ist es vom Peloponnes zum Glienicker Horn? Nicht allzuweit, mag sich der Große Kurfürst gesagt haben, als er Mitte des 17. Jahrhunderts die Parole ausgab: "Das ganze Eyland muss ein Paradies werden." Es sollte aber noch bis in die zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts dauern, bis der Gartenbaumeister Peter Joseph Lenné in Zusammenarbeit mit Karl Friedrich Schinkel 1824 begann, das Potsdamer Eiland in einen Paradiesgarten zu verwandeln. Ausgehend vom Gut Klein Glienicke schufen Lenné und Schinkel sowie später der Potsdamer Architekt Ludwig Persius auf beiden Seiten des Havelufers eine Park- und Gartenlandschaft, die ihresgleichen in Europa suchte, und gaben ihr den klangvollen Namen "Preubisches Arkadien". So wurde auch die Grenze zwischen Potsdam und Berlin zu einem der bukolischen Sehnsüchte nach einem sorgenfreien Leben wie es seit der Antike mit dem geheimnisvollen Arkadien im peloponnesischen Gebirge in Verbindung gebracht wird.

Heute mehr noch als zu Schinkels Zeiten ein Traum, ist das Thema sorgenfreies Leben nunmehr am Glienicker Horn angekommen, eine in die Havel gestreckte Landzunge südwestlich der Glienicker Brücke. Für die Verwirklichung des Traums stehen so wohlklingende Namen wie Belleza, Fiore oder Pavone. Zwischen die inzwischen fertiggestellten acht Stadtvillen mit den italienischen Namen bilden die Villa Kampffmeyer, der ehemalige Sitz eines Potsdamer Mühlenbetreibers aus den 20er Jahren dieses Jahrhunderts sowie der alte Baumbestand mit über hundertjährigen Bluteichen den Blickfang des neuen Wohnparks. Thema plus Park macht, wie es in der amerikanischen Planersprache so schön heibt, einen Themenpark. Sein Name: "Potsdamer Arkadien". Sein Thema: Sorgenfrei leben hinter Zäunen, Videokameras und Bewegungsmeldern.

Die Annäherungen an "Potsdamer Arkadien" enden nicht selten im Ungewissen. Wer, aus Berlin kommend, auf der Glienicker Brücke, der vormaligen "Brücke der Einheit", einen Halt macht, kann von weitem die im toskanischen Landhausstil geziegelten Walmdächer der Villen Clemenza und Belleza sehen. Doch schon die Weiterfahrt in Richtung des Potsdamer Villenstadtteils "Berliner Vorstadt" endet mit einem Fragezeichen. Von der Berliner Straße aus gesehen verstellt ein Torhaus, die Villa Portale, den Blick auf die dahinterliegende Villensiedlung. Wer sich schließlich von der westlichen Seite dem Thema Arkadien nähert, stößt zunächst auf ein Stadtvillenensemble im Stile mediterraner Feriensiedlungen. Zwischen diesen "Stadtpalais am Tiefen See" und der Wendeschleife der Straßenplan führt ein kleiner Kiesweg zum Ufer des Glienicker Horns. Der Weg endet allerdings an einem Baustellenschild: "Zutritt verboten".

So lässt sich der Traum vom sorgenfreien Leben vorerst nur aus sicherer Entfernung beobachten - von den Gewässern der Havel aus oder vom gegenüberliegenden Schlosspark Babelsberg. Hier eröffnet sich dem Betrachter die ganze Pracht des 28.000 Quadratmeter großen Potsdamer Arkadiens, mit der Villa Kampffmeyer als ruhendem Pol und den locker darum gruppierten italienischen Neubauvillen. Das preußische Arkadien von Schinkel, Persius und Lenné muss da zwangsläufig etwas zurückstehen. Vom Babelsberger Ufer jedenfalls bleibt der Blick auf den Neuen Garten etwa, einer jener Sichtachsen, wegen der das Lennésche Arkadien 1991 von der Unesco in den Rang eines Weltkulturerbes gehoben wurde, nicht selten an den geziegelten Walmdächern des neuen Arkadien hängen. Jeder Traum hat seine Grenzen.

II. Big Doorman is watching you

Über allem wacht der Doorman. Als einzige der acht Arkadien-Villen ist die Villa Portale kein Wohngebäude. Sie ist, wie es die Mitarbeiter des Investors Groth + Graalfs nennen, die "Kommandozentrale". Auf den zahlreichen Bildschirmen flimmern die von den Videokameras eingefangenen Bilder von den Außengrenzen des "paradiesischen Eylands". Mit ebenso zahlreichen Bewegungsmeldern sichern die Videokameras den äußeren Verteidigungsring, über den der Doorman in der Kommandozentrale wacht. Aber auch die wenigen Besucher der Luxussiedlung kommen am Doorman nicht vorbei. Wer am Eingangstor vor der Villa Portale nicht den passenden Zahlencode eintippt, wird in der "Kommandozentrale" auf den Grund seines Besuchs gecheckt. Per Videoschaltung wird das Bild des Besuchers dann in die entsprechende Wohnung geleitet, wo es am Ende dem Hausherrn überlassen bleibt, ob er empfängt oder nicht. So war das schon in den preußischen Königshäusern, so ist das auch im modernen Arkadien.

Unbefugte und andere, die sich dieser Prozedur entziehen möchten, haben zwar die theoretische Möglichkeit, über den nur etwa einen Meter hohen Zaun zu gelangen, der die Anlage von den umliegenden Gebieten trennt. Doch derlei Bewegung wird sofort gemeldet. "Da wird ein Alarm ausgelöst, der es in sich hat, nicht nur akustisch", versichert die bei Groth + Graalfs zuständige Verkäuferin der Eigentumswohnungen. "Der Alarm geht gleichzeitig beim Doorman, der beauftragten Wachschutzgesellschaft und bei der Polizei in Potsdam ein." Die von den Bewegungsmeldern und Videokameras überwachte Außengrenze habe nur am Anfang Probleme bereitet. "Da war das ganze System nämlich etwas zu sensibel eingestellt und hat dazu geführt, dass auch Vögel und Kaninchen den Alarm ausgelöst haben." Das Problem haben auch schon die Genztruppen der DDR gekannt, die zu Mauerzeiten in der Villa Kampffmeyer stationiert waren.

Keine Probleme gab es bislang beim ausgeklügelten Sicherheitskonzept der einzelnen Villen. "Jede der knapp 50 Eigentumswohnungen in Arkadien", erklärt die Verkäuferin, "weist eine durchwurfhemmende Verglasung auf." "Prüfzeugnis A 1", heißt es dazu stolz im Werbeprospekt der Investoren. Auch die "Einbruchmeldeanlage" kann sich sehen lassen: "Vorrichtung zur Installation einer Alarmanlage nach ihren persönlichen Bedürfnissen. Vorhaltung sämtlicher Verkabelungen für Überfalltaster; Bewegungsmelder, optisch/akustische Alarmgeber (auben), akustische Alarmgeber (Innen), einschließlich betriebsfertiger Montage der Magnet- und Riegelkontakte, der Glasbruchmelder und des Blockschlosses."

Die Verkäuferin weiß aber, dass der Verweis auf eine solche Hochsicherheitstechnik auch Fragen aufwirft. Ist Potsdam, die beschauliche Stadt- und Gartenlandschaft im Schatten der Hauptstadt plötzlich ein Kriminalitätsschwerpunkt geworden? Sind Mord und Totschlag hier an der Tagesordnung? "Kein Grund zur Sorge", versucht die Tochter eines italienischen Einwanderers dann zu beruhigen. "Alles reine Vorsorge", und: "Das gehört zum Konzept."

Über das Sicherheitskonzept spricht man bei Groth + Graalfs gerne, es ist, bei allem Luxus, das Besondere an Arkadien. Umzäunung, Videoüberwachung, Bewegungsmelder und Doorman-Konzept machen die Villensiedlung zu einer der ersten "Gated Communities" in Potsdam und Berlin, einem nach außen hermetisch abgeriegelten Wohnsicherheitstrakt. "Wir haben dieses Konzept aus Amerika übernommen", sagt die Verkäuferin, "ohne Abstriche". Vielleicht ist das der Grund, warum sie immer wieder betont, dass der Zaun überall noch begrünt werden würde. "Das ist natürlich etwas ungewohnt", räumt sie ein, "aber wenn er ersteinmal mit Hecken und Büschen bewachsen ist, sieht man ihn nicht, da reicht es zu wissen, dass es ihn gibt." Das, meint sie, sei dann schon beruhigend.

Das Geschäft mit der Angst und den individuell zugeschnittenen Sicherheitsangeboten boomt seit langem in Deutschland. Mit Gated Communities, eingezäunten Wohnanlagen wie in Arkadien, der "Residenz Prenzelberg" in Berlin-Prenzlauer Berg oder Doorman-Konzepten beim "Checkpoint Plaza" am ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie oder dem "kleinen Alex" in Berlin-Mitte hat es auch die städtische Quartiersebene erreicht. In den USA hat der Trend zum Wohnen hinter Hochsicherheitszäunen bereits in den achtziger Jahren eingesetzt. Über acht Millionen US-Bürger, schätzen die Autoren Mary Gail Snyder und Edward Blakely, würden mittlerweile in einer der 20.000 Gated Communities leben. In ihrem Buch "Fortress America" (Festung Amerika) haben sie nicht nur die Marktbedingungen dieser neuen Wohnform untersucht, sondern auch deren Auswirkungen auf die Stadt als soziales Gebilde. Ihr Ergebnis ist so verblüffend wie einfach: Gated Communities verstärken eher die Angst vor Kriminalität als dass sie vor ihr schützen. Der Grund für diesen scheinbaren Widerspruch liegt darin, dass das subjektive Sicherheitsgefühl mit den angebotenen Sicherheitsmabnahmen nicht in dem Maße steigt wie das subjektive Bedrohungsgefühl, ausgelöst durch Zäune und Videoüberwachung und der Angst, diese Technologien könnten versagen.

Weniger individuell, dafür mit umso größerer Bedeutung für die ganze Stadt sind Snyder und Blakely zufolge die sozialen Folgen dieser Grenzziehung in "drinnen" und "draußen", wie sie keiner eindrucksvoller beschrieben hat als der Schriftsteller T.C.Boyles in seiner bissigen Satire "América". Ohne zufällige Begegnungen und soziale Kontakte mit Fremden schreite die Auflösung der Stadtgesellschaft immer schneller voran, zerfalle die Stadt in immer kleinere, sozial homogene Gemeinschaften. Snyder und Blakely fassen dies in der griffigen Formel zusmamen "No social Contract without social Contact".

Ist die "Festung Amerika" bereits am Glienicker Horn, an der Grenze zwischen Berlin und Potsdam, angekommen?

In einem hat die Arkadien-Verkäuferin sicher nicht recht. Das "amerikanische Konzept" ist in Arkadien nicht in letzter Konsequenz übernommen worden. In manchen Regionen der USA, vor allem in Kalifornien, aber auch in Phoenix, Chicago, Miami, Houston und New York, werden nicht nur Zäune um die exlusiven Wohngebiete gezogen, sondern nicht selten auch unter Strom gesetzt. Auch die Weigerung vieler Bewohner von Gated Communities, keine Steuern mehr für den Unterhalt öffentlicher Straßen oder die Polizei zu zahlen, wäre hierzulande noch undenkbar. Doch die sozialen Auswirkungen dieser, wie es der kalifornische Stadtforscher Mike Davis einmal gesagt hat, "Ökologie der Angst" sind auch in Arkadien bereits spürbar.

Wirken Torhaus und Umzäunung von außen betrachtet nicht nur für ungebetene Gäste, sondern auch Besucher und Bewohner noch wie eine Hemmschwelle, ändert sich die Perspektive augenblicklich, hat man diese Schwelle ersteinmal überschritten. Nicht mehr abweisend wirkt die Sicherheitstechnik plötzlich, sondern einnehmend, beruhigend, abschirmend. Es ist als ob man plötzlich in Watte gehüllt wäre. Alles ist dem Kunden von Arkadien in diesem Wohnsicherheitstrakt nunmehr zu Diensten: der Zaun, die Sicherheitstechnik, der Doorman, der nun nicht mehr drohend, sondern freundlich wirkt, das Dienstleistungsangebot, vom Brötchenholen bis zum Blumengießen in Urlaubszeiten. Es ist, als hätte man es geschafft, als hätte man nicht nur diese, sondern auch andere Grenzen erfolgreich überschritten, als gehöre man dazu, zu einer imaginären Gemeinschaft derer, die es auch geschafft haben, und alles andre ist auben vor, überflüssig. Stellt man sich so nicht das Paradies vor?

III. Ein Berliner in Potsdam

Klaus Groth ist so einer, der es geschafft hat. Als Bauunternehmer gehört der gebürtige Schleswig-Holsteiner zu den ganz Großen in Berlin. Aber auch auf dem in der Hauptstadt noch oft als provinziell belächelten gesellschaftlichem Parkett will Groth einigen Boden gut machen. Welcher Ort wäre da geeigneter als die Villa Kampffmeyer? Noch kurz nachdem Groth die Villa samt Wassergrundstück von den Kampffmeyer-Erben für etwa 30 Millionen Mark gekauft hat, sollte das herrschaftliche Anwesen als Botschaft genutzt werden. Mittlerweile hat es sich Groth anders überlegt und den Fabrikantensitz selbst in Beschlag genommen. Seitdem gibt sich dort die gesellschaftliche Elite der Hauptstadt, oder die, die sich dafür halten, die Klinke in die Hand. Zum Beispiel im September 1998. Damals präsentierte Klaus Groth seine Villa als Ort für die jährliche Goldberg-Gala. Mit dabei waren nicht nur der Juwelier David Goldberg, sondern auch die Berliner Gesellschaft: Eberhard Diepgen und Gattin, der damalige Wirtschaftsminister Günter Rexrodt oder der Berliner Parlamentspräsident Herwig Haase. Groth selbst nennt solche Veranstaltungen "Einfluss nehmen". "Ich habe heute jederzeit die Möglichkeit, wichtige Leute in Berlin um einen Termin zu bitten. Ich sag' denen dann mal meine Meinung, ob's denen passt oder nicht. Was sie damit machen, ist dann deren Sache." Groths Sache ist es dann, zu bauen, etwa die mit öffentlichen Mitteln geförderte Neubausiedlung Karow-Nord in Berlin mit 5.200 Wohnungen. Groth, lange Zeit als CDU-Wirtschaftssenator im Gespräch gewesen, baut aber auch die neue CDU-Zentrale am Klingelhöfer Dreieck im Berliner Tiergarten oder den Hauptsitz der Spitzenverbände der Arbeitgeber in der Breiten Straße in Mitte.

Doch nicht nur die Berliner Politiker und Beamten tanzen zumeist nach Groths Pfeife, sondern auch die Potsdamer. Nach den Plänen des Wiener Architekten Rob Krier ließ der "Lobbyist", wie er sich selbst versteht, das Potsdamer Kirchsteigfeld bebauen, eine komplett neue Stadt mit 3.200 Wohnungen, Geschäften und einer Kirche, die allerdings dem mangelnden Gottesglauben seitens der Bewohner zum Opfer fiel. Groths ambitioniertestes Projekt aber war von Anfang an das "Potsdamer Arkadien". Kaum hatte Groth das Gelände der Villa Kampffmeyer erworben, ließ er, sehr zum Unmut der Denkmalschützer und der "Stiftung Schlösser und Gärten", keinen Zweifel daran, dass er das bis dato nur mit einigen Villen, Baracken und Provisorien zugestellte Glienicker Horn bis zum Havelufer bebauen möchte. Für die Potsdamer Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen, Saskia Hüneke, ist Arkadien deshalb auch heute noch die erste Bausünde Potsdams gewesen, die weiteren, wie etwa dem umstrittenen Potsdam Center, Tür und Tor geöffnet hätten.

Für den ehemaligen Leiter des Stadtplanungsamts und heutigen Stadtbaudirektor Richard Röhrbein handelte es sich bei Arkadien dagegen um ein "hochkarätiges Projekt". Das lag nicht etwa nur am "exorbitanten Grundstückspreis" (Röhrbein) und dem damit zusammenhängenden Verwertungsdruck. Groth plante am Ufer des Glienicker Horns auch eine "Marina", einen Durchstich des Uferwegs samt dahinterliegendem Yachthafen. "Diese Marina war in den Bauplänen so versteckt, dass man sie zunächst für eine Liegewiese gehalten hat", ärgert sich noch heute der Architekt Michael Kny, der westlich von Arkadien die Stadtpalais' des Investors Bayerische Hausbau entworfen hat. Erst mehrere Runde Tische zwischen Stadtverordneten, dem Brandenburger Wissenschaftsminister und Mitarbeitern der Stiftung Schlösser und Gärten haben am Ende dazu geführt, dass die Pläne für den Yachthafen in den Schubladen blieben. Richard Röhrbein kann die Aufregung darum immer noch nicht verstehen: "Das Glienicker Horn war immer Baufläche, gehörte nicht zur Lennéschen Parklandschaft." Warum also kein Yachthafen? Der öffentliche Uferweg wäre damit nicht tangiert gewesen, so Röhrbein. "Das Publikum wäre über eine wunderbare Brücke gegangen und hätte ein paar Bötchen gesehen." Zur preußischen Kulturlandschaft, meint Röhrbein, "gehörte immer schon auch die Fregatte".

Doch ganz so unumstritten, wie Röhrbein glauben machen will, war auch der öffentliche Uferweg nicht. "Groth hat alles daran gesetzt, dass es diesen Weg nicht gibt", erinnert sich Architekt Kny. Erst der politische Druck seitens der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung veranlasste das Stadtplanungsamt schließlich, Groth die Finanzierung eines öffentlich zugänglichen Uferwegs abzuhandeln. Wie wenig sich Öffentlichkeit und privater Luxus in den städtischen Visionen eines Investors miteinander vertragen, zeigte Groths Reaktion auf diese Vereinbarung. Kaum war die Entscheidung für den Uferweg gefallen, begann sein Architekt, der Amerikaner John Ruble, der mit dem Büro Yudell, Ruble und Moore auch den Wettbewerb für den Neubau der amerikanischen Botschaft am Pariser Platz in Berlin gewonnen hat, das gesamte Gelände höher zu planen. Groths Verkäuferin weiß, warum: "So können sie den ungestörten Blick auf die gegenüberliegende Parklandschaft Babelsberg genießen", sagt sie ihren Kunden, "ohne den unterhalb von ihnen gelegenen und mit Büschen abgetrennten Uferweg zu sehen." Das gelte auch umgekehrt: "Niemand kann auf dem Weg auf das Gelände schauen." Die Öffentlichkeit als Störenfried, als Beleidigung für das Auge des exclusiven Betrachters - das ist tatsächlich ein Stück Amerika in der europäischen Stadt.

IV. Außen pfui, innen hui

Für die aus Westberlin importierten Profis im Potsdamer Stadtplanunsgamt spielte das Konzept der arkadischen Abschottung freilich keine Rolle. Am Anfang war ihnen das Konzept nicht einmal bewußt. "Der Eigentümer hat zwar beantragt, einen Zaun errichten zu dürfen", erinnert sich Richard Röhrbein. "Dass das aber darauf hinausläuft, gated zu werden, war nicht klar." Doch selbst für den Fall, dass ihm das amerianische Vorhaben einer Gated Community bewubt gewesen wäre, hätte es auf die Baugenehmigung keinen Einfluss gehabt. Jeder Eigentümer habe das Recht, um seinen Grundstück einen Zaun zu ziehen, auch wenn dies bei einem solch großen Grundstück problematisch sei. "Gated Communities sind kein Gegenstand des Planungsrechts, sondern eine Vermarktungsstrategie des Eigentümers, mit der sich nicht Planer, sondern Politiker und Soziologen beschäftigen müssen." Im übrigen, meint Röhrbein, halte er das Konzept für durchaus stadtverträglich. Immerhin habe die Kommune auch die Pflicht, Angebote für Führungskräfte und gehobenes Wohnen zu machen, nicht zuletzt um das kommunale Steueraufkommen zu verbessern.

Eine der SoziologInnen, die sich mit dem Thema Gated Communities beschäftigen, ist die an der Humboldt-Universität in Berlin tätige Christine Hannemann. Für Hannemann ist die mit den Wohnsicherheitstrakten verbundene Amerikanisierung der Stadt, die Teilung des Stadtraums in "Ghettos und Zitadellen" (Manuel Castells) nur eine Seite der Medaille. Mindestens genauso wichtig, so Hannemann, seien die damit einhergehenden neuen Wohnformen. Gemeint ist der Rückzug aus dem öffentlichen Raum in die eigenen vier Wände, das, wenn man so will, individuelle Pendant zur ökonomischen und gesellschaftlichen Privatisierung des Stadtraums. So unterschiedlich diese Rückzugsformen im einzelnen auch sein mögen, eines scheint ihnen gemeinsam zu sein: die zunehmende Negierung des öffentlichen Aubenraums zugunsten einer Aufwertung des privaten Innenraums.

Eines der beeindruckendsten Beispiele dieses neuen "Außen pfui und innen hui"-Stils sind die Paul-Lincke-Höfe in Kreuzberg. Der sechs Höfe umfassende ehemalige Fabrikkomplex mit einer Nutzungsfläche von 15.000 Quadratmetern wird derzeit von den Developpern der Firma Realprojekt zum Standort für exklusives Loft-Living umgebaut - zu Quadratmeterpreisen zwischen 4.000 und 7.000 Mark. Dass sich die Paul-Lincke-Höfe, zwischen Reichenberger Strabe und Kanalufer gelegen, ähnlich wie die Londoner Lofts am King's Cross, in einem ausgewiesenen Problemgebiet befinden, stört die Entwickler dabei nicht. Als Grund für diese neue Kompatibilität von Luxus und Armut nennt Realprojekt-Sprecher Willo Göpel die veränderte Lebenskultur der Besserverdienenden. Nicht mehr um das Zurschaustellen des eigenen Reichtums gehe es den Wohnpionieren der späten Neunziger, sondern um die Wohnkultur in den eigenen vier Wänden. Mit der entsprechenden Absicherung nach außen, versteht sich.

Doch die offenkundige soziale Botschaft dieses sich zur Selbstghettoisierung verdichtenden Rückzugs in die privaten Innenbereiche ist so ambivalent wie der Erfolg der neuen Mittelschichten oftmals brüchig ist. In den "Closed Shops" der Besserverdienenden spiegelt sich nicht selten auch die Angst vor dem eigenen Absturz. Immer mehr Menschen, schreibt der Münchner Soziologe Ulrich Beck in dem Essay- und Porträtband "Eigenes Leben", seien - zumindest vorübergehend - von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen. "Derartige Grade gesellschaftlich hergestellter Lebensunsicherheit gegeneinander abzugrenzen ist sicherlich ein schwieriges Unterfangen." Doch das, so Beck, dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, "dass die Grenze zwischen noch kalkulierbarer Risikobiographie und nicht mehr kalkulierbarer Gefahrenbiographie der Subjektivität des Meinens, Unterstellens, Erwartens, Hoffen und Unkens Tür und Tor öffnet".

Und, so könnte man angesichts der Amerikanisierung des Wohnens, von der Christine Hannemann spricht, hinzufügen, im privaten Umfeld alle Türen und Tore schließt. Je durchlässiger die Grenzen der Risikogesellschaft werden, desto schärfer fallen die individuellen Grenzziehungen aus. Wenn es in den Zeiten der grassierenden Unübersichtlichkeit schon keine innere Sicherheit gibt, dann wenigstens einer äußere. Das hat zudem den Vorteil, dass man, sind die Gates der neuen Communities erst einmal überschritten, nicht mehr mit den sozialen Folgen dieser Privatisierungsbewegung konfrontiert wird. Amerikanische Investoren und Projektentwickler haben längst auf diese Erosion individueller Sicherheit hingewiesen und bieten ihr Sicherheitspaket zunehmend auch mittleren Einkommensschichten an.

V. Der goldene Käfig

In Berlin und Potsdam kann davon freilich noch keine Rede sein. Bis zu 15.900 Mark pro Quadratmeter kostet in Arkadien eine Eigentumswohnung in den eher ländlich gebauten Villen am Wasser. Anders als im Loft-Projekt Paul-Lincke-Höfe in Kreuzberg setzt man in Arkadien nicht auf die "neuen Urbaniten" mit ihrem ausgeprägten Hang zu städtischer Kultur, sondern auf die, "die mit beiden Beinen im Berufsleben stehen". Dass es solche, mit dem entsprechenden Einkommen versteht sich, in Berlin nur selten gibt, hat sich aber auch bei Groth + Graalfs herumgesprochen. Laut dem neuesten Immobilienbericht der Maklerfirma Blumenauer werden in der Hauptstadt bei Eigentumswohnungen im Neubau derzeit allenfalls Quadratmeterpreise zwischen 6.800 und 11.000 Mark erzielt, Tendenz gleichbleibend. Aus Gründen mangelnder Nachfrage wurde der ursprünglich 1993 anvisierte Baubeginn von Arkadien auch mehrfach verschoben. Heute freilich, so die Verkäuferin, sei ein guter Teil der Wohnungen verkauft. "Die meisten unserer Käufer, verrät sie, "kommen aus Westdeutschland, aus Bayern und Baden-Württemberg." Und wieder spricht sie vom Sicherheitskonzept. Weil viele der Bewohner Arkadiens nicht die ganze Woche in Potsdam seien, wäre das Sicherheitsangebot wie auf sie zugeschnitten. "Die müssen eben keine Angst haben, dass sie zu Wochenbeginn wiederkommen und vor einer bösen Überraschung stehen."

Angst, hat Sören Kierkegaard einmal gesagt, sei der Schwindel der Freiheit. Von dieser Erkennntis ist es offenbar nur ein kurzer Weg, einen Ausweg gegen diese Angst in der Flucht in die selbstgewählte Unfreiheit, einen goldenen Käfig zu sehen. Doch wird einem da die Angst - auf Dauer - genommen?

Die eine Antwort auf diese Frage scheint nicht zuletzt der Immobilienmarkt zu geben. Lagen die ursprünglich geplanten Mindestpreise für das arkadische Lebensgefühl einmal bei 9.000 Mark, sind in der Villa Verde derzeit bereits Eigentumswohnungen für knapp 6.000 Mark pro Quadratmeter zu haben. Und die luxuriösen 250-Quadratmeter-Wohnungen in der Villa Fiore werden gar nicht erst auf den Markt geworfen, sondern gleich Botschaftsangehörigen angeboten. Es scheint, als müsse die Kriminalitätsrate in Potsdam erst noch kräftig steigen oder herbeigeschrieben werden, um die entsprechende Nachfrage nach der amerikanischen Rund-um-die-Uhr-Überwachung zu schaffen.

Die andere Antwort mag darin liegen, dass Arkadien schon immer, auch in Zeiten Schinkels und Lennés, mehr Schein war als Wirklichkeit. Liegt aber nicht darin auch eine Gefahr? Jener nämlich, die eigene Wahrnehmung von sozialer Wirklichkeit zugunsten der Simulation in der Broschürensicherheit der Investoren zu verlieren? Und birgt diese Angst vor Realitätsverlust, das ungute Gefühl, dass die Furcht vor der eigenen Isolierung einmal größer werden könnte als die Furcht vor Kriminalität, nicht auch das Bedürfnis nach dem Gegenteil in sich? Sollte Arkadien, dieses "paradiesische Eyland", vielleicht doch außerhalb der Zäune und Videokameras liegen?

Die wenigen, die sich für Arkadien entschieden haben, dürfen sich solche Fragen freilich (schon allein aus finanziellen Gründen) nicht mehr stellen. Es ist, als laufe das Programm ab, das in der inszenierten Wirklichkeit der Luxussiedlung zur Kopie der Wirklichkeit und schließlich zur Wirklichkeit der Kopie wurde, zum Schwindel der Unfreiheit. Wer von Arkadien nach außen tritt, die Schwelle zur Wirklichkeit überschreitet, bekommt es plötzlich mit einer Unsicherheit zu tun, die er nie empfunden hätte, wenn er Arkadien im Wunderland niemals betreten hätte. Jedes Auto, das auf der Berliner Straße entlangrauscht, ist plötzlich eine Gefahr, weil man hier, im fremden Raum der Stadt, wieder selbst für die eigene Sicherheit verantwortlich ist. Jeder, der hier frei herumläuft und grundlos lacht, ist ein Angriff auf die eigene Angst. Oder bestehen sie etwa nicht, die Zweifel daran, dass es keine endgültige Sicherheit gibt? Daß die kriminelle Energie der Ausgeschlossenen, derer da draußen, womöglich immer größer sein wird als die Verteidigungskünste derer, die sich auf der sicheren Gewinnerseite wähnen?

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