Uwe Rada themenpolenwunder dauern etwas länger

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Berlin gilt als Ost-West-Drehscheibe. Doch in die osteuropäischen Märkte exportieren andere Bundesländer weit mehr als die Hauptstadt. Für den Osteuropakoordinator des Senats, Wolfram O. Martinsen, liegt das auch an fehlender Begegnungskultur

Interview von UWE RADA

taz: Herr Martinsen, wann waren Sie zuletzt in Polen, Tschechien oder Ungarn?

Wolfram O. Martinsen: In Polen war ich erst vor vierzehn Tagen. In Tschechien und Ungarn war ich mit dem Regierenden Bürgermeister anlässlich seiner offiziellen Besuche im Januar.

taz: Wie wird man dort als Osteuropakoordinator des Berliner Senats begrüßt?

Da wird man mit großen Hoffnungen und Erwartungen begrüßt. Aber auch da ist klar, dass Wunder etwas länger dauern.

taz: Gerade die scheinen Sie aber zu brauchen, vor allem was die viel zitierte Ost-West-Drehscheibe Berlin betrifft. In einer neuen Studie hat das Osteuropainstitut der Freien Universität Berlin festgestellt, dass der Anteil der Berliner Exporte in die mittel- und osteuropäischen Länder von 4,09 Prozent auf 1,2 Prozent zurückgegangen ist. Gleiches gilt für die Exporte nach Polen. Hier ist der Berliner Anteil von 2,87 Prozent auf 1,82 Prozent gesunken. Berlin ist mal wieder Schlusslicht.

Diese Zahlen sind eindeutig, da kann man nichts dran herumdeuteln. Was mich allerdings hoffnungsfroh stimmt, ist, dass auf der Seite der Importe nach Berlin Polen inzwischen nach den USA der zweitwichtigste Handelspartner für Berlin ist. Polen hat damit alle anderen EU-Kernländer überholt. Aber richtig ist: Die Messlatte ist die Exportzahl. Aber selbst diese Messlatte wird ja von einigen Wirtschaftsfunktionären in Berlin nicht akzeptiert. Die tun so, als wäre die Welt in Ordnung.

taz: Wer akzeptiert da warum nicht?

Das Schlimme ist, dass diese vom Statistischen Landesamt veröffentlichten Zahlen einfach nicht zur Kenntnis genommen werden. Wenn Sie den Jahresbericht der Industrie- und Handelskammer lesen, dann sehen Sie solche kritischen Nabelschauen nicht. Man spricht in solchen Fällen gerne auch von der Westberliner Betonfraktion.

taz: Auch der Senat hat in der Vergangenheit immer wieder auf den absoluten Anstieg der Berliner Exportzahlen hingewiesen, den Rückgang des Berliner Anteils aber verschwiegen.

Das tun Politiker sicherlich gerne. Sie sprechen lieber über positive Entwicklungen. Neulich war ich aber angenehm davon angetan, erstmals auch von Herrn Diepgen kritische Zahlen zur Entwicklung des Exports nach Mittel- und Osteuropa zu hören. Außerdem muss man feststellen, dass das Ost-West-Kompetenzzentrum weit mehr ist als das, was Statistiken widerspiegeln.

taz: Berlin exportiert Arzneimittel und Autobustechnologie nach Osteuropa, im Wesentlichen also Endprodukte. Andere Bundesländer wie etwa Nordrhein-Westfalen sind bei den Investitionsgütern vorne. Das macht Umsatz und schafft Arbeitsplätze.

Der Hauptgrund für die schlechten Exportzahlen ist natürlich die Tatsache, dass Berlin in zehn Jahren das durchmachen musste, was die alte Bundesrepublik in dreißig Jahren durchgemacht hat: die Restrukturierung der traditionellen, alten Industrie. Seit der Wende sind in Berlin 300.000 industrielle Arbeitsplätze verloren gegangen. Das ist an anderer Stelle noch nicht kompensiert worden.

taz: Aber auch die Gegenwart sieht nicht rosig aus. Die Zahl der angemeldeten Patente am viel zitierten Wissenschaftsstandort Berlin ist zurückgegangen.

Mit dem Abbau der industriellen Arbeitsplätze ist auch ein Großteil der Innovation in der Old Economy verloren gegangen. In den Bereichen, in denen Berlin Kompetenzen hat, etwa im ganzen Dienstleistungsgewerbe, sind Innovationen in Form von Patentanmeldungen weniger vertreten als etwa bei Hightech-Firmen. Aber ich bin überzeugt davon, dass Berlin hier wieder aufholen wird.

taz: Sie selbst sprechen immer wieder vom Ost-West-Kompetenzzentrum Berlin. Welche Kompetenzen meinen Sie? Etwa die Attraktivität Berlins für polnische Haushaltshilfen? Einige Kritiker sprechen ja schon von Berlin als Hauptstadt der Putzkolonnen.

Ich glaube, dass Berlin in vielen Bereichen stark ist. Aufgrund ihrer alten, vor allen Dingen Ostberliner Beziehungen zu Mittel- und Osteuropa ist die Stadt ein Eingangstor für kleine und mittlere Unternehmen aus dem Osten. Wir haben in Adlershof ein Ost-West-Kooperationszentrum, da sitzen 33 Firmen aus sieben Ländern. Unter ihnen ist zum Beispiel ein Unternehmen aus Polen, das mittlerweile 20 Deutsche beschäftigt. Die entwickeln Hochregallagersysteme und bearbeiten von Berlin aus den Markt Frankreich.

taz: Ist das wirklich so ein gutes Beispiel? Polnische Wirtschaftsvertreter betonen immer wieder, dass Berlin für polnische Firmen als Investitionsstandort uninteressant ist: zu hohe Löhne, zu hohe Nebenkosten. Stattdessen sei Berlin vielmehr als Markt für die MOE-Staaten von Bedeutung.

Man kann die Chance, von Berlin aus in den westeuropäischen Markt zu gehen, nicht nur an den Kosten festmachen. Es gibt genügend Beispiele dafür, dass Firmen aus den mittel- und osteuropäischen Ländern diese Chancen aufgreifen. Das Ost-West-Kooperationszentrum in Adlershof ist eines. Das zweite ist das so genannte Welcome Package der Berliner Wirtschaftsförderung. Das ist ein Paket, das über drei Monate geht und einem kleinen und mittelständischen Unternehmer ein komplettes Angebot bietet. Enthalten sind Wohnung, Büroräume, Lehrgänge im Umgang mit der marktwirtschaftlichen Bürokratie, Freifahrscheine bei der BVG und der S-Bahn, ein Handy. Das Ganze kostet 4.000 Mark und bietet die Möglichkeit, drei Monate lang auszuprobieren, ob man mit seinen Ideen und Projekten, seinen Produkten Fuß fassen kann.

taz: Wie sieht es in umgekehrter Richtung aus? Welche Unternehmen gehen von Berlin aus nach Osteuropa?

Berlin ist vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen aus Westeuropa, Westdeutschland, aber auch Asien der Ausgangsort, um von hier aus nach Mittel- und Osteuropa zu gehen. Bestes Beispiel ist die Berlin-Chemie, die von der italienischen Firma Minarini aufgekauft wurde. Minarini hat dabei der Berlin-Chemie den russischen Markt überlassen. Die Berlin-Chemie hat in den letzten fünf Jahren ihren Umsatz verdoppelt und 600 zusätzliche Stellen geschaffen. Diese Story erzähle ich mittlerweile Italienern und Spaniern, weil die nämlich dazu neigen, schnell nach Südamerika zu gehen, weil sie da ihren traditionellen Markt sehen.

taz: Was antworten Ihnen die Spanier und Italiener?

Die erkennen, dass sie ohne irgendeine Anleitung oder Hilfe, irgendeine sprachliche Unterstützung, ohne Leute, die sich in der Region auskennen, nicht auf den osteuropäischen Markt gehen können. Und plötzlich wissen sie, dass man in Berlin Leute findet, die sich auskennen, die die Kultur kennen. Und dass der Markt sehr interessant ist. Etwa nun, im Vorfeld der Privatisierungen, die da noch anstehen, also bei der Gasversorgung oder der polnischen Eisenbahn. Da lohnt es sich, das von Berlin aus zu begleiten. Die Firma Stadler zum Beispiel, ein kleiner Waggonbauer aus der Schweiz, hat sich in Pankow niedergelassen. Die wollen auf den polnischen Markt und suchen sich von hier aus Partner, mit denen sie das machen können. Sie wissen nämlich genau, dass bei den großen Vergabeprojekten etwa für Schienenbusse ein großer lokaler Anteil gebraucht wird. Den muss man mit Leuten finden, die sich in Polen auskennen. Die finden sie hier, die finden sie nicht in der Schweiz.

taz: Das sind doch eher kleine Brötchen. Mit wie vielen Beschäftigten ist die Firma Stadler nach Berlin gekommen?

Die Firma ist noch dünn beschäftigt. Aber wenn ein großer Auftrag käme, müssten die sofort hier investieren. Ich denke, wenn man fragt, was in der Vergangenheit vernachlässigt worden ist, dann das, dass an dieser Stelle die Potenziale bislang zu wenig analsysiert und durchleuchtet wurden. Und darin sehe ich jetzt auch eine meiner Aufgaben. Das Komische ist: Obwohl ich der Koordinator für Mittel- und Osteuropa bin, gehe ich mittlerweile mehr in den Westen.

taz: Nach der Wiedervereinigung wollte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen aus Berlin eine Ost-West-Metropole machen. Heute muss man sagen: Als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet. Die großen Firmen sind nach Warschau, andere nach Wien gegangen. An Berlin sind die meisten vorbeigezogen.

Da muss man sehr genau differenzieren. Wir in Berlin verstehen unter der Region Mittel- und Osteuropa vor allem Dingen Polen, dann auch Tschechien und Ungarn. Hier aber in erster Linie schon eher die Hauptstädte. Dann meinen wir in Russland vor allen Dingen die Stadt Moskau. Zuletzt meinen wir die baltischen Länder. Das hindert uns natürlich nicht daran, mit manchen Projekten auch nach Südosteuropa zu gehen. Aber da ist Wien natürlich stärker. Wien ist das Kompetenzzentrum für den ganzen südosteuropäischen Raum. Ich höre allerdings auch immer wieder, dass Unternehmen aus dem süddeutschen Raum, die eigentlich eine sehr viel größere Affinität nach Wien haben, sich überlegen, wenn sie nach Polen gehen, das dann über Berlin zu machen.

taz: Sie haben das Stichwort Begegnungskultur genannt. Es scheint, dass es um die noch nicht allzu gut bestellt ist. Osteuropa ist nicht nur als Markt fremd, sondern auch kulturell. Die vorherrschende Blickrichtung in Berlin ist die in Richtung Westen.

Das ist richtig. Und ich werde auch nicht müde, gerade diesen Aspekt bei den vielen Begegnungen, die wir haben, einzubringen. Letztens hat jemand, der vor allem im asiatischen Raum tätig ist, vom intellektuellen Imperialismus gesprochen. Das ist dann das Gegenteil von Begegnungskultur. Und so verhalten wir uns oft noch dem Osten gegenüber. Manchmal beobachte ich Manager, wie sie sich bemühen, sich auf die Kultur und die Business-Kultur in Frankreich einzustellen oder in Amerika, in England. Wenn die gleichen Manager nach Polen gehen, werfen sie all das über Bord und tun so, als kämen sie als Entwicklungshelfer. Ich verstehe wirklich nicht, was in deren Köpfen abgeht. Deswegen ist Begegnungskultur als erste Voraussetzung ganz wichtig. Und die nächste Phase wird sein, aus dieser Begegnungskultur eine Business-Kultur zu machen.

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