Uwe Rada themenosteuropaich will menschen porträtieren, die ich mag

DRUCKVERSION "Ich will Menschen porträtieren, die ich mag"

Gerade läuft sein Film "Holunderblüte" in den Kinos. Darin beschreibt der Dokumentarfilmer Volker Koepp das Leben von Kindern im einstigen Ostpreußen, das nun zum Kaliningrader Gebiet und zu Russland gehört. Natur und Geschichte sowie die Menschen, die dort leben, sind sein Thema, auch in zahlreichen Filmen über Brandenburg. Ein Gespräch über Heimat, Preußen und Identität

von UWE RADA

Herr Koepp, mit "Holunderblüte" haben Sie den fünften Dokumentarfilm vorgelegt, der im einstigen Ostpreußen spielt. Woher die Anhänglichkeit zu der Landschaft und ihren Menschen?

Angefangen hat es 1963, da studierte ich in Dresden. Ich traf mich mit Freunden immer im Freibad Bühlau. Auch der Maler Ralf Winkler war immer da, er ist als A. R. Penck bekannt geworden. Manchmal hatte er die Prawda dabei, manchmal Bücher, und eines Tages brachte er einen Gedichtband mit. Es war Johannes Bobrowskis "Sarmatische Zeit". Ein Gedicht darin beschreibt die Landschaft an der Memel. Das war der Anfang.

In der DDR war das Erinnern an Ostpreußen und damit auch an Flucht und Vertreibung nicht unbedingt erwünscht.

Im Westen auch nicht immer. Als mein Film "Kalte Heimat" 1995 bei der Berlinale uraufgeführt wurde, lautete die erste Publikumsfrage: "Herr Koepp, wollen Sie Ostpreußen wieder zurückhaben?"

Was haben Sie geantwortet?

Ich habe die Frage überhaupt nicht verstanden und habe nichts gesagt. Ein Kollege meinte hinterher: "Warum hast du nicht einfach ,ja' gesagt?" Also die Auseinandersetzung war schon sehr ideologisch. In der DDR wie auch im Westen. Im Westen vielleicht sogar etwas stärker.

Johannes Bobrowski war nach seinem Tod 1965 auch Ihr erstes Thema als Filmemacher.

Bald nach dem Abschluss an der Filmhochschule Potsdam 1969 habe ich mit den Dreharbeiten zu "Grüße aus Sarmatien" angefangen. Bobrowski war in Tilsit geboren, das seit 1945 russisch war und Sowjetsk hieß. Dafür haben wir keine Drehgenehmigung bekommen. Also haben wir auf der anderen Seite der Memel gedreht, in der Litauischen Sowjetrepublik. Damals war ich auch zum ersten Mal auf der Kurischen Nehrung.

Ein anderer Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist Brandenburg. Sie haben eine Langzeitdokumentation über Wittstock gedreht und Filme über das Oderbruch oder die Uckermark gemacht. Gibt es Parallelen zwischen der brandenburgischen und der ostpreußischen Landschaft?

Die preußische Geschichte. Als 1980 das Reiterstandbild Friedrichs II. Unter den Linden aufgestellt wurde, habe ich das gedreht. Das wurde die Eingangsszene eines Films über Rheinsberg. Erst da ist mir klar geworden, welche Bedeutung Friedrich bis in die Gegenwart hat, wie er das Bild der Landschaft geprägt hat, mit der wir heute selbstverständlich umgehen - etwa das Oderbruch. Ein anderer Bogen der Geschichte ist der, dass ich in Karlshorst aufgewachsen bin und die Anwesenheit der Russen von Kindheit an erlebt habe.

Geboren sind Sie 1944 in Stettin. Kurz darauf ist Ihre Mutter mit Ihnen vor der Roten Armee nach Brandenburg geflüchtet. Studiert haben Sie in Dresden und Potsdam, Sie leben in Berlin und der Uckermark. Was ist für Sie Heimat?

Nach der Wende hat mich mein Kameramann gefragt, ob ich nicht mal ganz woandershin reisen wolle. Das wollte ich nicht. Lieber habe ich in Wittstock weitergedreht, außerdem konnte ich nun einfacher ins ehemalige Ostpreußen reisen.

Heimat bedeutet für Sie, immer wieder an die Orte zurückzukehren, die Sie kennen, an denen Sie gedreht haben, wo sie die Menschen kennen?

Vielleicht ist das so, ja.

Im Gegensatz zu vielen Dokumentarfilmern drehen Sie ja nie an einem Ort nur einmal. Auch in "Holunderblüte" sind Sie wieder zurückgekehrt. Gibt es dafür auch einen filmischen Grund - außer dem Gefühl der Vertrautheit?

Was die Wittstock-Filme betrifft, hatte ich nicht vor, eine Langzeitdokumentation über 25 Jahre zu drehen. Aber irgendwann kannte ich mich da aus. Ich wusste, worüber die Leute sprechen. Zum Leidwesen meiner Freundin reise ich auch im Urlaub noch immer am liebsten an die Ostsee.

Wenn Sie nach Jahren an Ihre Drehorte zurückkehren, finden Sie nicht immer die gleichen Menschen wieder. Wohl aber ist da noch der Ort, die Landschaft. Glauben Sie, dass eine Landschaft wie in Ostpreußen oder Brandenburg auch die Menschen prägt, die die Geschichte oder die Biografie dorthin verschlägt?

Das ist schwierig. Ich habe diese Frage auch vielen Menschen gestellt, die aus Russland ins Kaliningrader Gebiet gekommen sind. Das ehemalige Ostpreußen ist eigentlich nie Heimat für sie geworden. Man sieht das auch am Umgang mit den Feldern, mit den Häusern. Das bestätigt auch eine Untersuchung der Kaliningrader Universität. Was wir dort erleben, ist die Zurückentwicklung einer Landschaft in den Zustand vor ihrer Trockenlegung, also in eine Sumpflandschaft.

Sind Sie ein Romantiker?

Na ja. Als ich in Dresden war, war ich oft in Ausstellungen von Caspar David Friedrich. Seine Bilder haben uns auch den Weg hoch an die Ostsee gewiesen. In diesem Sinne - vielleicht ja.

Ich frage das, weil man über das Kaliningrader Gebiet auch andere Filme machen kann: Filme, in denen es um Drogen und Aids geht, um den Aufkauf der Küste durch reiche Russen aus Moskau, über den Militärstandort, über die schwierige Suche nach dem Erbe Königsbergs.

Wenn ich das nicht mache, bin ich ja nicht deswegen Romantiker. Ich bin vielleicht Romantiker, weil Romantiker zu sein auch eine bestimmte Form von Reisen bedeutet. Auch eine bestimmte Form zu schauen und zu sehen. Ich halte es da mit dem Schriftsteller Willibald Alexis, der sinngemäß gesagt hat: Wer vor seiner Reise schon alles weiß, der sieht auf der Reise nichts mehr.

Anders als zu DDR-Zeiten erlebt der ehemalige deutsche Osten seit der Wende eine regelrechte Konjunktur. Bereitet Ihnen das Bauchschmerzen? Viele formulieren ja auch die Kritik, dass sich die Deutschen im Nachhinein als Opfer definieren und nicht mehr als Täter.

Natürlich gibt es diese Sorgen. Und manchmal trifft man unterwegs auch diese Leute, die eine solche Angst berechtigt erscheinen lassen. Meine Erfahrung ist aber die, dass die allermeisten ihre Lebensgeschichten entdecken wollen, und das ist seit der Wende möglich geworden.

Sie erzählen in Ihren Filmen von Sesshaftigkeit und vom Bleiben gerade in einer Zeit, in der sich so viele auf den Weg machen. Gerade auch in Brandenburg. Viele gehen nach Berlin, die meisten nach Westdeutschland. Bedienen Sie da beim Publikum auch eine Sehnsucht?

Mein Kinopublikum ist schon überraschend. Wenn ich etwa nach Hannover in ein Kommunales Kino komme, erzählt mir der Betreiber, dass er die Leute noch nie in seinem Haus gesehen hat. Ich glaube, dass es eine Art Rückbesinnung gibt, ein Gegenentwurf zur Beschleunigung, die ja nur ein "rasender Stillstand" ist. Das versuche ich in meinen Filmen zu zeigen, nicht nur mit den Geschichten, sondern auch, indem ich mich dem Trend zu immer schnelleren Schnitten widersetze. Bei aller Globalisierung kommt man nicht drum herum, dass es bestimmte Wurzeln gibt. Aber natürlich gibt es auch in Ostpreußen Entvölkerung auf dem Land. Da werden Schulen geschlossen, Dörfer aufgegeben, Häuser verfallen.

Wie erklären Sie sich Ihren Erfolg? Normalerweise haben es Dokus schwer in den Kinos.

Das mit dem Erfolg ist sehr relativ. In der DDR lief keiner der Filme im Fernsehen, die ich bei der Defa drehte. Oft wurden auch für das Kino nur ein oder zwei Kopien gezogen. Wenn Sie so wollen, ein Massenmedium ohne Massen. Ich habe deshalb auch mal überlegt, ob ich aufhören soll. Was mich abgehalten hat, war das Wissen, dass man mit solchen Filmen ja auch Dokumente schafft. Eine größere Kinoverbreitung kam erst nach der Wende - auch die Fernsehausstrahlung meiner alten Filme.

Ihr Durchbruch kam mit "Herr Zwilling und Frau Zuckermann", ein Film über zwei deutschsprachige Juden im ukrainischen Czernowitz.

Auch die "Kurische Nehrung" lief überraschend gut. Aber andere Filme sind mir genauso wichtig; was ist schon Erfolg? Ich versuche, die Filme zu machen, die ich gerne machen möchte. Ich will Menschen porträtieren, die ich gerne mag, die ich anderen empfehlen möchte.

Die FAZ schrieb, es seien die langen Einstellungen, Ihre Geduld, mit der Sie bislang jeden Ihrer Helden zu einem Lächeln brachten. Wie lange drehen Sie mit den Leuten?

Früher dachte ich, dass man die Leute lange kennen muss, bevor man mit ihnen drehen kann. Das stimmt nicht. Oft erzählen sie irre Geschichten beim Vorgespräch; wenn die Kamera läuft, ist nichts. Für "Holunderblüte" waren wir nur drei Tage dort und haben uns Drehorte ausgesucht. Der Rest war alles sofort mit der Kamera. Es gibt übrigens keine besondere Fragetechnik, wie mir unterstellt wird. Das Wichtige ist, dass die Leute merken, dass man sie und ihr Leben ernst nimmt.

Der Kommentar des Filmemachers Volker Koepp beschränkt sich auf einen kurzen Abriss der Geschichte und auf Poesie. Warum immer diese beiden wiederkehrenden Elemente?

Die Poesie erzählt von den Menschen und denen, die sich vorher schon mit den Menschen auseinandergesetzt haben. Auf den übrigen Text würde ich gerne verzichten. Nur werde ich immer wieder gefragt, wo das denn eigentlich liegt - das Kaliningrader Gebiet, die Kurische Nehrung, die Memel? Offenbar ist das immer noch nötig.

"Holunderblüte" schließt den Ostpreußenzyklus ab, den Sie mit dem Bobrowski-Porträt begannen. Ist es Zufall, dass der Film von Kindern handelt? Steckt darin ein Stück Abschied von den Alten und ihren, auch deutschen, Geschichten und ein Stück Hoffnung auf die Zukunft?

Die Alten sterben, bald sind sie nicht mehr da. Insofern ist "Holunderblüte" schon eine Art Abschied. Etwas von Hoffnung steckt immer in meinen Filmen, auch wenn bei "Holunderblüte" die Probleme - Arbeitslosigkeit, Alkoholismus - nicht zu übersehen sind. Holunder ist ja ohnehin Synonym für Tod und Leben, Sterben und Hoffnung.

Probleme, die Sie aus der Uckermark kennen.

Der Unterschied ist nur der, dass Sie nun viele Häuser sehen, hinter deren Fenstern Bücherregale stehen. Das sind die Berliner, die aufs Land ziehen.

Wo stehen Sie selbst - irgendwo zwischen den Berlinern und den Einheimischen?

Ich hatte schon in den 70er-Jahren mein Haus in der Nähe von Gransee, jetzt habe ich eines in der Uckermark. Ich kann mich mit den letzten Einheimischen übers Früher unterhalten.

Ist es das, was Sie am Ende doch am meisten bewegt: das Früher?

"Die Hölle und das Paradies haben keine Zukunft", las ich vor kurzem. Je östlicher Sie kommen, desto verbreiteter ist dieses Denken: Man erinnert sich an Vergangenes, die Zukunft ist etwas suspekt.

Und in Brandenburg?

Wir haben in der Uckermark eine Bevölkerungsdichte wie nach dem Dreißigjährigen Krieg. Aber wie mir Adolf-Heinrich von Arnim im "Uckermark"-Film versicherte: Auch nach dem Dreißigjährigen Krieg musste man von vorn anfangen.

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