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DRUCKVERSION Der gerupfte Adler

Brandenburgs historische Identität ist von Brüchen geprägt. Die neue Dauerausstellung in Potsdam wartet aber auch mit aufregenden Objekten auf

von UWE RADA

Gleich im Foyer wartet der Adler. Übergroß aus Sandstein, aber dennoch fehlt ihm alles Majestätische, nichts an ihm wirkt einschüchternd. "Ihm fehlen die Flügel, ihm fehlt die Krone, fast hätte ich gesagt, er ist gerupft", erklärt Kurt Winkler. "Auch der Adler hat die Schrecken des Krieges mitgemacht. Er ist ein Relikt, mit dem die Geschichte in die Gegenwart hineinragt."

Es ist Kurt Winkler wichtig, dass die neue Dauerausstellung zur Geschichte Brandenburgs mit einer Irritation beginnt. "Brandenburg tut sich schwer mit seiner historischen Identität", sagt der scheidende Direktor des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG). Preußen, das Verhältnis zu Berlin, die DDR – all das seien Brüche, die eine gerade historische Erzählung unmöglich machten. "In Brandenburg ist die Identität nicht so gewachsen und selbstverständlich wie in Bayern", meint Winkler.

Ein stolzer Adler, ein roter gar, wie er durch Brandenburgs Landeshymne fliegt, hat sich also von vornherein verboten als Markenzeichen des Brandenburgs, von dem in Potsdam erzählt werden soll. Und auch der Blick von außen ist oft nicht schmeichelhaft. Winkler nennt das Bonmot von der Mark als der "Streusandbüchse" des Heiligen Römischen Reiches, das erstmals 1733 nachgewiesen ist.

Aber die Brandenburger haben auch das Zeug zur Selbstironie. Nicht erst mit Rainald Grebes Brandenburghymne, sondern schon im 18. Jahrhundert nimmt sich die Mark selbst auf die Schippe, wie eine barocke Porzellanschale mit Schreibutensilien zeigt. Dazu gehört auch ein Streuer zum Trocknen der Tinte: Eine Streusandbüchse kann auch wertvoll sein.

Dass das HBPG im historischen Kutschstall eine neue Dauerausstellung braucht, war schon 2016 ausgemacht. Damals fusionierte das HBPG mit Kulturland Brandenburg zur Brandenburgischen Gesellschaft für Kultur und Geschichte. Gleichzeitig wurde das Haus umgebaut, um Platz für Wechselausstellungen zu schaffen. Schon vor der neuen Brandenburg-Ausstellung, die am 29. April eröffnete, war im Februar die Ausstellung "Morgen in Brandenburg" als "Werkstatt der Zukünfte" an den Start gegangen.

Die neue Dauerausstellung, mit der sich Kurt Winkler nach 14 Jahren als Direktor des HBPG in den Ruhestand verabschiedet, ist keine Werkstattschau, das sieht man vom ersten Augenblick an. Das Design ist klassisch, die Präsentation der 228 originalen Objekte von 72 Leihgebern verlangt nach Vitrinen.

Modern geht es dagegen im Raum zu, der dem 20. Jahrhundert gewidmet ist. Die vier Kapitel Weimarer Republik, Nationalsozialismus, DDR und Nachwendezeit werden in großformatigen Fotografien angeteasert. Auf einem ist eine Szene vom Jahrhunderthochwasser an der Oder 1997 zu sehen. Das ist die Perspektive der Raummitte, die Details finden sich auf der Rückseite. Zum Beispiel ein Koffer, in dem die Schriftstellerin Mana Präkels Zeitungsausschnitte aus den so genannten Baseballschlägerjahren der Neunziger gesammelt hat.

"Wir wollten nicht den Fehler vieler Dauerausstellungen machen, wo nach der Eröffnung zehn Jahre nur die Vitrinen abgestaubt werden", sagt Kurt Winkler. "Bei uns können auch neue Inhalte hochgeladen werden." So kann die Ausstellung, zumindest dort, wo sie das 20. Jahrhundert thematisiert, ständig aktualisiert werden.

Wo sie die Vorgeschichte erzählt, handelt die Brandenburg-Ausstellung von Ambivalenzen. Beispiel Einwanderungsland: Neben dem gerupften Adler bildet ein großer Screen den Blickfang im Foyer des Kutschstalls. Einer der drei Filme, die dort in Dauerschleife laufen, visualisiert auf einer Karte die Wanderungsbewegungen aus und nach Brandenburg vom Mittelalter bis heute.

Dass die Mark, die sich gerne mit dem Potsdamer Toleranzedikt des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm schmückt, oft mit zweierlei Maß gemessen hat, zeigt ein Vergleich der rechtlichen Stellung von Hugenotten und Juden. Denn die Privilegien, die der Große Kurfürst den Hugenotten zeitlich unbegrenzt zugestand, galten für die Juden nicht. Nur 20 vermögende Familien nahm Friedrich Wilhelm 1671 auf, der Aufenthalt war auf 20 Jahre befristet. Und während die Hugenotten Kirchen bauen durften, in denen vom Staat bezahlte Pastoren predigten, mussten die Juden ihre Rabbiner selbst bezahlen. Die Gottesdienste fanden in Privathäusern statt, der Bau von Synagogen war verboten: erwünschte und unerwünschte Einwanderer.

Widersprüchlich ist auch das Verhältnis der Mark zur Metropole. Zwar wurde Berlin (mit einigen Unterbrechungen) bis 1881 von Potsdam aus regiert, doch dann entwickelte die wachsende Großstadt ihre Eigendynamik. Die Gründung von Groß-Berlin 1920 war die Krönung dieser Entwicklung. Für Brandenburg dagegen bedeutete sie erhebliche Gebietsverluste.

Parallel dazu veränderte sich das Bild Brandenburgs. Je mehr sich Berlin in einen Moloch verwandelte, desto stärker wurde die Mark zu seinem Gegenentwurf. Nicht nur die Gemälde von Walter Leistikow zeugen davon, sondern auch der Bau des Märkischen Museums in Berlin 1908. Die Mark wird zur Sehnsuchtslandschaft und, in Fontanes Wanderungen, zur verklärten Geschichtslandschaft. Fontane selbst taucht am Ende des ersten Raums, der dem Mittelalter bis zum Jahr 1900 gewidmet ist, mit einem Porträt von Carl Breitbach aus dem Jahre 1883 sowie seinem Original-Arbeitsstuhl auf.

Kurt Winkler, der die Ausstellung mit einem Team von 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kuratiert hat, ist es aber auch wichtig, das Verhältnis Brandenburgs zu Preußen zu thematisieren. Dazu hat er drei Objekte in Szene gesetzt. Neben dem roten Sowjetstern, den die Rote Armee an der Festung Küstrin angebracht hat, sind das das Schlagwerk der Garnisonkirche, deren Wiederaufbau Potsdam bis heute spaltet, und ein Leuchter aus der Villa Liegnitz.

"Die Villa Liegnitz war der Wohnsitz von August Wilhelm, einem Sohn des letzten deutschen Kaisers, der sich sehr früh mit der NSDAP eingelassen hat", erklärt Winkler. "Dieses Objekt soll auch hier anknüpfen an die aktuelle Debatte, die um die Relation der Hohenzollern zum Nationalsozialismus geführt wird." Zu den damit zusammenhängenden Restitutionsdebatten nehme man keine Stellung, betont Winkler. "Aber es ist uns wichtig, dass wir solche Gegenwartsbezüge andeuten."

Ein solcher Gegenwartsbezug ist auch der gerupfte Adler. Denn das Fortunaportal des Stadtschlosses, das er einst zierte, wurde mit dem Schloss nach dem Krieg abgerissen. Mit dem Fortunaportal begann, finanziert durch Günther Jauch, aber auch der Wiederaufbau des Schlosses als Landtagsbau. So scheint sich in Potsdam ein Kreis geschlossen zu haben.

In seinem wichtigsten Museum wird er offen gehalten.


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